Navigation

Gefährdungsbeurteilung überprüfen
Foto: © Alexander Supertramp - Shutterstock

Gefährdungsbeurteilungen überprüfen: So gehen die Behörden vor

  • 31.01.2022
  • Rafael de la Roza
  • 7 Min.

Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und weiteren Spezialvorschriften ist eine der tragenden Säulen des betrieblichen Arbeitsschutzes. Daher prüfen die Arbeitsschutzbehörden der Länder diese bei ihren Betriebsbesichtigungen besonders penibel. Lesen Sie in diesem Beitrag, wie die Prüfungen ablaufen und welche Maßnahmen Sie ergreifen sollten, damit Ihre Gefährdungsbeurteilungen vor den kritischen Augen der Prüfer bestehen.

Die Grundlage zur Überprüfung der Gefährdungsbeurteilungen ist die „Handlungsanleitung zur Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung“, die 2017 überarbeitet und an die geänderten Rechtsvorschriften und aktuellen Erfahrungen angepasst wurde. Herausgegeben wurde die Arbeitshilfe vom „Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik“ (LASI), einem Gremium der Landesbehörden, das die Arbeitsschutzüberwachung länderübergreifend koordiniert.

Die bundesweit geltende Handlungsanleitung soll den Prüfern Hinweise und Empfehlungen für die Prüfung der praktischen Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung durch die Betriebe und die einheitliche Bewertung der Ergebnisse an die Hand geben.

Gefährdungsbeurteilung: Allgemeine und spezielle Vorschriften

Wie eine rechtskonforme Dokumentation auszusehen hat, ist gesetzlich nicht festgelegt. Sie kann in Papier- oder in elektronischer Form vorliegen. Es muss aber aus ihr erkennbar sein, dass die Gefährdungsbeurteilung vollständig und umfassend durchgeführt wurde. Die Unterlagen müssen daher Angaben zu dem Ergebnis der jeweiligen Gefährdungsbeurteilung, zur Festlegung der erforderlichen Arbeitsschutzmaßnahmen sowie zu den Ergebnissen der Überprüfung der durchgeführten Maßnahmen enthalten.

Denken Sie neben der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz auch an weiterführende Anforderungen z. B. nach der Arbeitsstättenverordnung, Gefahrstoffverordnung, Biostoffverordnung, Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung oder der Betriebssicherheitsverordnung.

Vergessen Sie auch nicht die Beurteilung von Gefährdungen für besondere Personengruppen (Jugendliche, werdende oder stillende Mütter, Beschäftigte ohne ausreichende Deutschkenntnisse, Leiharbeitnehmer und andere).

Achten Sie auf Vollständigkeit

Eine lückenhafte Gefährdungsbeurteilung wird unweigerlich zu Beanstandungen durch die Aufsichtspersonen führen. Stellen Sie daher sicher, dass Ihre Gefährdungsbeurteilungen stets vollständig sind. Berücksichtigen Sie dazu die folgenden Prozessschritte:

  1. Vorbereitung: Festlegen der Arbeitsbereiche und Tätigkeiten, die Sie in die Beurteilung einbezogen haben: Achten Sie darauf, dass Sie dabei nichts vergessen, z. B. die Tätigkeiten von Außendienstmitarbeitern.
  2. Ermitteln aller Gefährdungen – auch solcher, die außerhalb des Normalzustands auftreten können, etwa bei Wartung, Instandhaltung und Reparatur.
  3. Beurteilen der Gefährdungen: Sind z. B. Lärmemissionen im Einklang mit den festgelegten Grenzwerten der Lärm- und Vibrationsarbeitsschutz-Verordnung?
  4. Festlegen der daraus abzuleitenden Schutzmaßnahmen: Halten Sie sich bei diesem Schritt an die Rangfolge der Schutzmaßnahmen nach § 4 A rbSchG, das sogenannte T OP-Prinzip: An erster Stelle stehen technische Schutzmaßnahmen, dann kommen organisatorische und als letzte schließlich personenbezogene Maßnahmen.
  5. Durchführung der Maßnahmen
  6. Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen
  7. Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung, etwa nach Unfällen oder bei der Einführung neuer Arbeitsverfahren

Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung in Stichproben

Die Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung durch die Aufsichtsbeamten stellt in der Regel eine Teilbesichtigung dar. Sie erfolgt anhand von Stichproben aus dem betrieblichen Geschehen, die systematisch untersucht werden. Ziel dabei ist festzustellen, ob

  • Gefährdungen im Betrieb erkannt und mit wirksamen Maßnahmen beseitigt werden und
  • die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sicherheits- und gesundheitsgerecht sind und bleiben.

Das systematische Vorgehen bei der Überprüfung beginnt bereits mit der Vorbereitung: Die Beamten stellen vorab alle relevanten Informationen über den Betrieb zusammen, um für die bestehenden Gefährdungen möglichst repräsentative und aufschlussreiche Prüfschwerpunkte festzulegen. Diese Informationen können aus bereits vorhandenen Betriebsakten, aber auch etwa aus der Internetpräsenz des Betriebs gewonnen werden:

Beispiel: Informationssammlung zur betrieblichen Tätigkeit

Der Betrieb verkauft weltweit Maschinen und montiert diese vor Ort. Dann werden die Beamten also insbesondere typische Gefährdungen an nichtstationären Arbeitsplätzen unter die Lupe nehmen. Ein weiteres Thema kann aber auch etwa die arbeitsmedizinische Vorsorge nach der arbeitsmedizinischen Vorsorgeverordnung (ArbMedVV) für Auslandseinsätze mit besonderen klimatischen Belastungen und Infektionsgefährdungen sein.

Gespräch mit den Verantwortlichen

Bei der Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung werden die Beamten ein Gespräch mit dem Arbeitgeber und/oder einer verantwortlichen Führungskraft führen. Ein Gespräch nur mit Ihnen als Fachkraft für Arbeitssicherheit oder dem Betriebsarzt reicht nicht aus, da Sie ebenso wie dieser lediglich eine beratende Funktion haben und nicht der eigentliche Verantwortungsträger für den Arbeitsschutz sind. Allerdings wird man Sie oft hinzuziehen, ebenso wie ggf. weitere relevante Funktionsträger und betriebliche Beauftragte (z. B. Strahlenschutzbeauftragte). Das Gespräch kann durch die Befragung einzelner Beschäftigter ergänzt werden, dies jedoch grundsätzlich nur mit Zustimmung des Arbeitgebers.

Außerdem sind die Aufsichtsbeamten verpflichtet, den Betriebsrat bei allen Fragen hinzuzuziehen, die im Zusammenhang mit Betriebsbesichtigungen stehen, die das Arbeitsschutzgesetz oder die Unfallverhütung betreffen.

In dem Gespräch wollen die Beamten nachvollziehen, wie Sie die Gefährdungsbeurteilung im Betrieb erarbeitet haben. Meist verwenden die Beamten dazu Gesprächsleitfäden und ähnliche Hilfsmittel, die die Befragung erleichtern und dazu beitragen, dass die Informationen vollständig erhoben werden (s. nachfolgendes Beispiel).

Was soll in einer Gefährdungsbeurteilung stehen?

Bewertungskriterien und Leitfragen zum Prüfpunkt „Ermittlung der Gefährdungen“

Kriterien

  • Gefährdungsfaktoren
  • besonders schutzbedürftige Personengruppen
  • Fremdfirmeneinsatz
  • Arbeitsumgebung
  • Reinigung, Wartung, Instandhaltung und Reparatur
  • stationäre,
  • nicht stationäre Arbeitsplätze
  • Störungen,

Leitfragen

  • Haben Sie die für Ihren Betrieb wesentlichen Gefährdungsfaktoren berücksichtigt?
  • Wurden die individuellen Leistungsvoraussetzungen von ggf. Kindern, Jugendlichen, Praktikanten, ausländischen Personen, werdenden und stillenden Müttern oder Leistungsgeminderten betrachtet?
  • Wurden der Einsatz und vertragliche Regelungen zum Arbeitsschutz für Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung berücksichtigt?
  • Wurde der Einsatz von Fremdfirmen berücksichtigt?
  • Wie erfolgt die Kommunikation der Beteiligten untereinander?
  • Wurden vom Normalbetrieb abweichende Betriebszustände einbezogen?

Überprüfung der Dokumentation…

Im Verlauf des Besuchs überprüfen die Beamten stichprobenartig die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung. Ausnahmsweise kann dies auch im Vorfeld oder im Nachgang der Besichtigung erfolgen. Die Beamten können außerdem auch zusätzliche Unterlagen, wie z. B. Unterweisungsprotokolle, inspizieren. Aufkommende Fragen werden dann im Gespräch mit den betrieblichen Ansprechpartnern geklärt. Bei der Überprüfung soll erkennbar werden, ob die vorgelegten Dokumente übersichtlich und nachvollziehbar sind, insbesondere im Hinblick auf den nachfolgenden Abgleich mit den konkreten Arbeitsbedingungen.

… und Abgleich mit der Realität

Die anschließende Überprüfung der Situation vor Ort erfolgt im Zuge einer Teilbetriebsbesichtigung. Die Prüfer wählen die Stichprobe der zu inspizierenden Arbeitsplätze bzw. Tätigkeiten so aus, dass sie Aufschluss darüber gibt, ob die Gefährdungsbeurteilung der betrieblichen Situation entsprechend angemessen durchgeführt und dokumentiert wurde (Soll-Ist-Vergleich).

In der Regel werden mindestens 2 unterschiedliche, aber für die Tätigkeit des Betriebs möglichst typische Arbeitsplätze besichtigt, z. B. Werkstattarbeitsplätze in metallverarbeitenden Betrieben, Pflegestationen in Altenheimen oder Lagerarbeitsplätze in Speditionen. Dabei werden auch aus dem üblichen Betriebsablauf herausfallende Tätigkeiten unter die Lupe genommen, von denen besondere Gefahren ausgehen können, wie etwa Instandhaltungsarbeiten.

Durch die Überprüfung der ausgewählten Arbeitsplätze soll erkennbar werden, ob

  • die an den Arbeitsplätzen auftretenden Gefährdungen zutreffend ermittelt und zutreffend beurteilt wurden (Soll-Ist-Abgleich) und
  • die festgelegten Schutzmaßnahmen wirksam sind und dem Stand der Technik entsprechen.

Wenn die Prüfer Mängel feststellen

Die Prüfer stellen dem Arbeitgeber bzw. seinem Vertreter und, sofern vorhanden, dem Betriebsrat in einem Abschlussgespräch das Ergebnis der Überprüfung vor. Erkannte Defizite halten sie dann fest und die sich daraus ergebenden Anforderungen sowie das weitere Vorgehen werden erläutert. Das Gespräch hat auch eine motivierende und beratende Funktion: Es soll dem Arbeitgeber die Vorteile einer gründlichen und fundierten Gefährdungsbeurteilung nahebringen und ihm aufzeigen, wie er seine Verpflichtungen rechtskonform erfüllen kann.

Auch für das Vorgehen im Fall von festgestellten Mängeln ist in der Handlungsanleitung eine einheitliche Vorgehensweise festgelegt. Die Maßnahmen richten sich danach, wie schwerwiegend diese sind, wobei 3 Fälle zu unterscheiden sind:

  • Fall 1: Eine Gefährdungsbeurteilung wurde gar nicht durchgeführt.
  • Fall 2: Die Gefährdungsbeurteilung wurde nicht angemessen durchgeführt.
  • Fall 3: Die Gefährdungsbeurteilung wurde – bis auf kleinere Fehler – angemessen durchgeführt.

Fall 1: Eine Gefährdungsbeurteilung fehlt gänzlich: Können Sie überhaupt nichts vorlegen, werden die Prüfer Sie in aller Deutlichkeit auf die gesetzliche Verpflichtung zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung hinweisen. Sie werden Sie darüber hinaus auf Hilfestellungen (z. B. Muster-Gefährdungsbeurteilungen) und weitere Unterstützungsmöglichkeiten aufmerksam machen, wie etwa die Beratung durch Experten der Berufsgenossenschaften oder anderer Organisationen. In der Regel bekommen Sie dann auch eine vollziehbare Anordnung („blauer Brief“), in dem Sie aufgefordert werden, die Gefährdungsbeurteilung in einer angemessenen Frist durchzuführen und die Dokumentation nachzuliefern. Dies wird dann zum festgesetzten Termin nachkontrolliert.

Fall 2: Die Gefährdungsbeurteilung wurde zwar durchgeführt, ist aber fehlerhaft: Dieser Fall liegt etwa vor, wenn

  • wesentliche Gefährdungen des Arbeitsplatzes/der Tätigkeit nicht ermittelt worden sind (Beispiel: In einem Abfall-Recyclingbetrieb fehlt die Beurteilung der Gefährdungen durch biologische Arbeitsstoffe),
  • Maßnahmen des Arbeitgebers nicht ausreichend oder ungeeignet sind (ungeeignete persönliche Schutzmaßnahmen) oder
  • keine Wirksamkeitskontrolle durchgeführt wurde. Auch in diesen Fällen wird der Arbeitgeber in der Regel schriftlich aufgefordert, die Gefährdungsbeurteilung in einer angemessenen Frist nachzubessern. Eine Nachverfolgung kann, muss aber nicht zwingend durchgeführt werden.

Fall 3: Die Gefährdungsbeurteilung wurde angemessen durchgeführt und hat lediglich kleinere „Schönheitsfehler“ ans Licht gebracht: Bei kleineren Mängeln werden die Aufsichtspersonen Sie mündlich beraten und auf einen schriftlichen Bericht sowie eine Nachkontrolle verzichten.

In diesen Fällen droht ein Bußgeld

Eine vollziehbare Anordnung der Behörde mit der Aufforderung, die Gefährdungsbeurteilung zu erstellen (Fall 1), zu vervollständigen oder nachzubessern (Fall 2), sollte Ihr Chef unbedingt ernst nehmen, denn wenn er ihr nicht fristgerecht nachkommt, kann er nach § 25 ArbSchG zu einem Bußgeld von bis zu 25.000 Euro verurteilt werden.

Fazit

  • Gesetzlich ist nicht festgelegt, wie eine rechtskonforme Dokumentation auszusehen hat
  • Aus der Dokumentation muss erkennbar sein, dass die Gefährdungsbeurteilung vollständig und umfassend durchgeführt wurde.
  • Bei der Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung werden die Beamten ein Gespräch mit dem Arbeitgeber und/oder einer verantwortlichen Führungskraft führen.
  • Die Ermittlung der Gefährdungen werden in Berwertungskriterien und Leitfragen eingeteilt. Dabei könnte eine der Leitfragen zum Beispiel sein: „Wurde der Einsatz von Fremdfirmen berücksichtigt?“
  • Im Verlauf des Besuchs überprüfen die Beamten die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung. Anschließend findet eine Überprüfung der Situation vor Ort, im Zuge einer Teilbetriebsbesichtigung, statt.