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Leitmerkmalmethode Ganzkörperkräfte: Wie Tätigkeiten pro Minute bewertet werden

  • 13.04.2022
  • Redaktionsteam SafetyXperts
  • 8 Min.

Die Leitmerkmalmethode Ganzkörperkräfte (LMM GK) bewertet die Teiltätigkeiten pro Norm-Minute. Wie genau sich die Tätigkeiten voneinander unterscheiden und worauf Arbeitgeber achten müssen.

Unternehmen sind gesetzlich dazu verpflichtet, in regelmäßigen Abständen eine Gefährdungsanalyse der Arbeitsplätze ihrer Beschäftigten vorzunehmen. Die Analyse muss mit dem Ziel vorgenommen werden, Gesundheitsgefahren aufzuspüren und ihnen frühzeitig vorzubeugen.

Die gesetzliche Grundlage zur Durchführung der Gefährdungsanalyse findet sich in § 5 des Arbeitsschutzgesetzes. Darüber hinaus sind die Maßnahmen in § 2 der Lastenhandhabungsverordnung festgeschrieben.

Die einzelnen Instrumente zur Durchführung der Gefährdungsanalyse sind die einzelnen Leitmerkmalmethoden. Im Folgenden werden alle wichtigen Infos zur Leitmerkmalmethode Ganzkörperkräfte (LMM-GK) genannt und erläutert.

Definition der Leitmerkmalmethode Ganzkörperkräfte

Die LMM-GK wird überwiegend in den Unternehmen angewandt, in denen die Beschäftigten erhebliche Kräfte beim Bearbeiten großer Werkstücke aufbringen müssen. Weitere Beispiele sind die Maschinenbedienung, das Positionieren von Arbeitsgegenständen oder die Benutzung von Werkzeugen. Die LMM-GK wird dabei unabhängig von der Körperhaltung sowie unter Berücksichtigung der stationären Kraftausübung angewandt.

Zudem berücksichtigt die LMM-GK die Kraftausübung über Hände. Auch die Kraftausübung über Füße, Beine, Hände und über den Rücken findet mit der Leitmerkmalmethode Anwendung. Außerdem muss die LMM-GK von Arbeitgebern immer dann angewandt werden, wenn die einzelnen Tätigkeiten nicht mehr im Sitzen ausgeführt werden können.

Typische Tätigkeiten für die Bewertung

Tätigkeiten, die für die LMM-GK in Betracht kommen, sind zum Beispiel Arbeiten mit Winden und Flaschenzügen, Arbeiten mit Hebeln und Drucklufthämmern oder der Einbau von Fenstern. Darüber hinaus kommen müssen Ganzkörperkräfte beim Patiententransfer sowie beim Bewegen von Lasten auf Rollenbahnen eingesetzt werden. Folglich wird hier ebenfalls die LMM-GK eingesetzt.

Bei der LMM-GK sowie bei allen anderen Leitmerkmalmethoden wird die Belastung von Teiltätigkeiten bewertet. Wenn die zu bewertende Teiltätigkeit das Heben, Umsetzen, Senken, Halten, Tragen oder Ziehen von Lasten mit mehr als drei Kilogramm beinhaltet, sind auch die Leitmerkmalmethoden Heben, Halten, Tragen und/oder Ziehen und Schieben von Lasten zu berücksichtigen.

manuelle Arbeitsprozesse, Heben, Umsetzen, Senken, Schieben, Einbau von Fenstern, Arbeiten mit Drucklufthammer
© Safety Xperts

Außerdem muss die Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse zur Bewertung der Belastung der Teiltätigkeiten herangezogen werden. Voraussetzung ist, dass es sich dabei um eine kurzzeitige Arbeit handelt, bei der in geringer Kraftaufwand notwendig ist. Die LMM Manuelle Arbeitsprozesse sollte auch dann zur Bewertung herangezogen werden, wenn es sich um Arbeiten mit kleineren Werkzeugen handelt.

Wenn Beschäftigte eines Unternehmens an einem Arbeitstag unterschiedliche Teiltätigkeiten ausführen, müssen diese getrennt erfasst und beurteilt werden. Die Wahrscheinlichkeit einer körperlichen Überbeanspruchung kann nur dann beurteilt werden, wenn alle physischen Belastungen während eines Arbeitstages berücksichtigt werden.

Schritte zur Bewertung von Belastungen bei Ganzkörperkräften

Nachfolgend werden die einzelnen Schritte beschrieben, die für die Bewertung der Arbeitsbelastungen bei Ganzkörperkräften notwendig sind. Voraussetzung für die Beurteilung mit Hilfe der Leitmerkmalmethode ist eine gute Kenntnis der zu bewertenden Teiltätigkeit. Wenn diese Kenntnisse nicht vorhanden sind, darf keine Beurteilung vorgenommen werden. In diesem Fall muss die Belastung durch die körperliche Arbeit von externen Experten vorgenommen werden.

Die Beurteilung der Teiltätigkeiten wird in 3 Schritten durchgeführt. Manchmal ist ein vierter Schritt notwendig. 

  1. Bestimmung der Zeitwichtung
  2. Wichtung der Tätigkeits-Leitmerkmale bestimmen 
  3. Bewertung und Beurteilung

In einem vierten Schritt findet die Umsetzung von Gestaltungsmaßnahmen und die Vorsorge statt.

1. Bestimmung der Zeitwichtung

Wenn die Zeitwichtung bestimmt wird, kommt es auf die Gesamtdauer der Teiltätigkeit an. Darüber hinaus spielt die Anzahl an Wiederholungen während eines Arbeitstages eine große Rolle.

Bei der Bestimmung der Zeitwichtung unterscheidet man zwischen kontinuierlichen und diskontinuierlichen Teiltätigkeiten. Kontinuierliche Tätigkeiten dauern mehr als eine Minute. Arbeiten mit Kettensägen, Schaufeln oder Hochdruckreinigern zählen zu den kontinuierlichen Tätigkeiten.

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Gefährdungsanalysen wie die LMM-GK schützen Arbeitnehmer vor körperlichen Schäden © auremar – Adobe Stock

Die Bewertung der kontinuierlichen Tätigkeit erfolgt mit Hilfe der sogenannten „Norm-Minute“. Bei der Bewertung der Tätigkeiten werden die einzelnen Minuten zusammengezählt. Die Gesamtanzahl der Norm-Minuten der entsprechenden Teiltätigkeit bildet dann den Zeitanteil ab.

Bei diskontinuierlichen Teiltätigkeiten sind über einen kurzen Zeitraum Spitzenkräfte erforderlich. Die Dauer der Tätigkeiten beträgt meistens nur eine Minute oder liegt darunter. Unterbrochen werden sie nur durch kurze Erholungspausen. Tätigkeiten, wie beispielsweise das Ankippen von Fässern oder der Krankentransport zählen zu den diskontinuierlichen Tätigkeiten.

Die Bewertung und Dokumentation der Teiltätigkeiten erfolgt über die Betrachtung der Kraftausübungen im Rahmen der Tätigkeit. Die Wiederholungshäufigkeit pro Arbeitstag bildet den Zeitanteil ab.

2. Bestimmung der Wichtung der weiteren Merkmale

Im zweiten Schritt werden die Kraftausübungen bei kontinuierlichen und diskontinuierlichen Teiltätigkeiten bewertet. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) stellt dafür eine Tabelle zur Verfügung.

In dieser sind folgende Kraftausübungen für die Tätigkeit aufgeführt:

  • Geringe Kräfte
  • Mittlere Kräfte
  • Hohe Kräfte
  • Sehr hohe Kräfte
  • Spitzenkräfte

Gleichzeitig gibt die BAuA Beispiele, welche Arbeiten den unterschiedlichen Graden von Ganzkörperkräften zugeordnet sind. Mit mittleren Kräften werden Arbeiten mit handgeführten Werkzeugen beschrieben. Diese sind unter anderem Winkelschleifer, kleine Kettensägen oder Heckenscheren. Mittlere Kräfte kommen darüber hinaus beim Bewegen von Lasten auf Rollenbahnen vor. Die Lasten haben in der Regel ein Gewicht von unter 20 Kilogramm.

Hohe Kräfte treten dagegen bei Arbeiten mit Werkzeugen, wie Trennschleifer, Bohrhammer oder größere Kettensägen auf. Unter anderem treten hohe Kräfte beim Bewegen von Lasten auf Rollenbahnen mit einem Gewicht von 20 bis 50 Kilogramm auf. Hohe Kräfte treten unter anderem beim Schaufeln von Lasten von unter vier Kilogramm auf.

Sehr hohe Kräfte müssen beim Betätigen von Arbeiten mit handgeführten Werkzeugen wie Drucklufthämmer und beim Schaufeln von Lasten zwischen vier und acht Kilogramm aufgebracht werden. Sehr hohe Kräfte müssen unter anderem auch beim Bewegen von Lasten auf Rollenbahnen aufgebracht werden. Diese Lasten haben ein Gewicht zwischen 50 und 100 Kilogramm.

Mit Spitzenkräften werden dagegen impulsartige Kraftaufwendungen beschrieben. Arbeiten mit einer Brechstange oder mit dem Vorschlaghammer sind typisch für das Auftreten von Spitzenkräften. Diese Art der Kräfte muss auch beim Transport von Möbeln aufgebracht werden. Darüber hinaus treten Spitzenkräfte beim Ankippen schwerer Fässer auf.

Weitere Merkmale der Teiltätigkeit

Für die Bewertung der Arbeitsbelastung und für die Wichtung der weiteren Merkmale spielen allerdings nicht nur die unterschiedlichen Kraftkategorien eine Rolle. Darüber hinaus muss die Symmetrie der Kraftaufwendung betrachtet und beurteilt werden.

So liegt die Wichtung beim Wert 0, wenn die Kraftaufwendung zur Bewegung der Last beidhändig und symmetrisch ausgeführt wird. Die Wichtung mit dem Wert 2 liegt dann vor, wenn die Kraftaufwendung über einen kurzen Zeitraum beidhändig und/oder unsymmetrisch ausgeführt wird. Zudem liegt hier eine ungleiche Verteilung zwischen den Händen vor.

Die Wichtung 4, die gleichzeitig die höchste Wichtung ist, liegt dann vor, wenn die Kraftaufwendung überwiegend einhändig ausgeführt wird. Bei dieser Wichtung tritt ebenfalls eine ungleiche Verteilung der Kräfte beider Hände auf.

Bei der Bestimmung Wichtung der Merkmale der Teiltätigkeit spielt auch die jeweilige Körperhaltung eine wichtige Rolle.

Die BAuA unterscheidet zwischen 4 Arten der Körperhaltung:

  1. Aufrechtes bis leicht geneigtes Stehen ohne den Körper zu verdrehen
  2. Stehen mit stärkerer Vorneigung (20 bis 60 Grad). Eine Rumpfverdrehung ist bei der Ausübung der Teiltätigkeiten zum Teil erkennbar. Gelegentlich sind die Hände über der Schulter.
  3. Stehen mit einer starken Vorneigung von mehr als 60 Grad. Häufige Rumpfverdrehungen und Seitenneigungen sind erkennbar. Darüber hinaus sind die Hände häufig über dem Schulterniveau. Hier sind es vor allem Arbeiten, die im Liegen ausgeführt werden.
  4. Kombination aus stärkerer Vor- und Rückenneigung mit Seitenneigung. Arbeiten, bei denen eine ständige Rumpfverdrehung erkennbar ist. Arbeiten in der Hocke oder auf den Knien sind typisch für diese Haltungen.
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Wie hoch die körperliche Überbelastung sein kann, hängt unter anderem von der Körperhaltung ab © Blue Planet Studio – Adobe Stock

In dem zweiten Schritt werden darüber hinaus die Wichtungen in Bezug auf die ungünstigen Ausführungsbedingungen gemacht. Diese sind von den Arbeitgebern allerdings nur dann anzugeben, wenn sie zutreffen. Hier können auch Zwischenwichtungen vergeben werden.

Außerdem wird im zweiten Schritt die Hand- und Armstellung der Teiltätigkeit gewichtet. Unterschieden wird beispielsweise die erhöhte Anstrengung durch eingeschränkte räumliche Bedingungen sowie die stark erhöhte Anstrengung durch ungünstige, räumliche Bedingungen.

Auch die Kleidung der Beschäftigten spielt für die Wichtung eine wichtige Rolle. So stellt eine notwendige Schutzausrüstung für manche Arbeiten eine zusätzliche Belastung für die Arbeitnehmer dar.

3. Bewertung und Beurteilung

Die Bewertung der Teiltätigkeit erfolgt anhand eines Punktwertes, der auf die jeweilige Tätigkeit bezogen ist. Für die Bewertung müssen die Wichtungen der Leitmerkmale der Tätigkeit zusammenaddiert werden. Anschließend wird diese Summe mit der Zeitwichtung multipliziert. Der daraus resultierende Punktwert lässt sich einem Risikobereich zuordnen.

Daraus können Arbeitgeber die Wahrscheinlichkeit einer körperlichen Überbeanspruchung durch diese Teiltätigkeit ableiten. Zudem können anhand des Risikobereichs gesundheitliche Folgen sowie entsprechende Handlungsmaßnahmen hergeleitet werden. 

4. Gestaltung und Vorsorge

Im vierten und letzten Schritt gilt, die entsprechenden Präventionsmaßnahmen einzuleiten. Ab dem Risikobereich 3 „wesentlich erhöht“ sind solche gestalterischen Maßnahmen notwendig. Ab diesem Risikobereich ist arbeitsmedizinische Vorsorge (ArbMedVV) sinnvoll.

Präventionsmaßnahmen müssen vor allem bei besonders schutzbedürftigen Beschäftigungsgruppen durchgeführt werden. Dazu gehören zum Beispiel Auszubildende sowie Praktikanten.

Durch das Aufsuchen der höchsten Punktwerte der Leitmerkmale einer Teiltätigkeit können die Ursachen erhöhte Belastungen erkannt und Änderungen angestoßen werden. Darüber hinaus sollten Arbeitgeber den Gestaltungsbedarf auch dann prüfen, wenn Einzelmerkmale maximale Wichtungen aufweisen.

Hinweis: Eine Checkliste zur Durchführung der Leitmerkmalmethode Ganzkörperkräfte stellt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin auf ihrer Webseite kostenfrei bereit.

Die Bundesanstalt hält neben der Checkliste auch Tabellen mit den Wichtungen für die Arbeitgeber bereit.

Fazit – Leitmerkmalmethode Ganzkörperkräfte

Die Leitmerkmalmethoden sind für Arbeitgeber wichtige Instrumente zur Erfassung und Bewertung körperlicher Belastungen. Zudem werden sie im Rahmen von Gefährdungn. sanalysen durchgeführt. Die beschriebene Leitmerkmalmethode Ganzkörperkräfte ist eine von insgesamt sechs Leitmerkmalmethoden, die gemeinsam von der BAuA und der DGUV entwickelt wurden.

Das Ziel der Leitmerkmalmethoden ist es, körperliche Belastungen durch bewegte Lasten im Arbeitsalltag zu erfassen und zu bewerten. Durch die Belastungen entstehen langfristig Muskel-Skelett-Erkrankungen bei den Beschäftigten. Durch die Leitmerkmalmethoden sollen diese Erkrankungen weitgehend eingedämmt werden.

Zudem sollen die einzelnen Methoden auf einfache Art und Weise die wesentlichen Belastungsmerkmale dokumentieren. Außerdem sollen sie dem Anwender Zusammenhänge zwischen Belastungen, manueller Arbeit und ergonomischen Haltungen deutlich machen. Aus den Zusammenhängen können wiederum gesundheitliche Folgen sowie ein Handlungsbedarf abgeleitet werden.

Die LMM GK dient der orientierenden Beurteilung der Arbeitsbedingungen bei der Ausübung von Ganzkörperkräften. Wenn innerhalb einer Teiltätigkeit geringe Abweichungen auftreten, müssen bezüglich der Punktwerte Mittelwerte gebildet werden. Abweichungen treten beispielsweise bei der Kraftrichtung sowie bei der Höhe der Kraftaufwendungen auf.

Die Leitmerkmalmethode Ganzkörperkräfte gehört zu den Screening-Methoden. Diese sind einsetzbar für die Beurteilung von Tätigkeiten, die mit Heben, Halten und Tragen verbunden sind. Im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts MEGAPHYS wurden bereits bestehende Leitmerkmalmethoden weiterentwickelt und neu entworfen.

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