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Foto: © karepa - Adobe Stock

Leitmerkmalmethode Körperzwangshaltung: Belastungsbewertung von ungesunden Haltungen am Arbeitsplatz

  • 13.04.2022
  • Redaktionsteam SafetyXperts
  • 9 Min.

Arbeitgeber sind gesetzlich zur Gefährdungsanalyse des Arbeitsplatzes verpflichtet. Mit Hilfe von Leitmerkmalmethoden kann die Belastung am Arbeitsplatz bewertet werden. Körperzwangshaltungen kommen während des Arbeitens häufig vor. Eine Methode bezieht sich speziell auf die Zwangshaltungen am Arbeitsplatz. Welche Schritte zur Bewertung notwendig sind.

Ob körperliche Arbeiten oder Bürotätigkeiten. Muskel-Skelett-Erkrankungen können sowohl bei Tätigkeiten im Freien als auch durch Arbeiten am Schreibtisch auftreten. Arbeitgeber sind deshalb gesetzlich dazu verpflichtet, eine Gefährdungsanalyse des Arbeitsplatzes vorzunehmen, um diese Erkrankungen zu verhindern.

Die gesetzlichen Grundlagen sind § 5 des Arbeitsschutzgesetzes sowie § 2 der Lastenhandhabungsverordnung. Beide Paragraphen schreiben die Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes von Beschäftigten vor. Zudem thematisiert der letztgenannte Paragraph die Maßnahmen, die sich aus der Gefährdungsbeurteilung heraus ergeben.

Körperliche Erkrankungen durch Arbeit

Muskel-Skelett-Erkrankungen entstehen infolge von Haltungen des Körpers, bei denen unter anderem die Bewegungsfreiheit der Mitarbeiter extrem eingeschränkt ist. Sogenannte Körperzwangshaltungen führen neben den erwähnten Erkrankungen zu verringerter Leistungskraft und Produktivität. Personen, die aufgrund ihrer Tätigkeiten Körperzwangshaltungen einnehmen müssen, zeigen während des Arbeitens schnell Ermüdungsanzeichen.

Mit Blick auf den demographischen Wandel und einer daraus resultierenden längeren Arbeitszeit der Beschäftigten, müssen sich Arbeitgeber mit der Thematik beschäftigen, um die Gesundheit der Mitarbeiter zu gewährleisten und die eigene Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt zu erhalten.

Leitmerkmalmethode als Instrument zur Gefährdungsbeurteilung

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© Safety Xperts

Ein wichtiges Hilfsmittel dabei ist die sogenannte Leitmerkmalmethode. Gleichzeitig ist die Methode das wichtigste Instrument zur Erfassung und Bewertung der Arbeitsbelastung. Mit der Leitmerkmalmethode werden zudem bestimmte Aspekte des Arbeitens bewertet.

  • Zeitliche Dauer der Belastung
  • Kraftaufwand
  • Körperstellung während der Tätigkeit
  • Ausführbedingungen

In Kooperation mit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sechs verschiedene Leitmerkmalmethoden entwickelt. An der Entwicklung war zudem das Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie (ASER) beteiligt. Im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts MEGAPHYS wurden die verschiedenen Leitmerkmalmethoden entwickelt.

Definition: Leitmerkmalmethode Körperzwangshaltung

Mit dieser Leitmerkmalmethode werden Teiltätigkeiten mit Körperzwangshaltungen berücksichtigt. Nachfolgend wird dafür die Abkürzung LMM-KH verwendet. Mit Körperzwangshaltungen werden wiederum Körperhaltungen beschrieben, die durch die Arbeitsprozesse bedingt sind. Darüber hinaus liegen Körperzwangshaltungen dann vor, wenn die Haltungen während des Arbeitens mehr als eine Minute und mehr als zehn Sekunden wiederholt eingenommen werden.

Laut Angaben der BAuA liegt eine Unterbrechung der Körperzwangshaltung nur dann vor, wenn:

  • die ungünstige Haltung bei der Arbeit durch eine entspannte Haltung wie aufrechtes Stehen oder durch Sitzen unterbrochen werden kann.
  • eine entspannte Haltung in geringem Maße variiert werden kann, ohne dass der Arbeitsprozess unterbrochen wird.

Bei Körperzwangshaltungen sind mehrere Bereiche des Körpers betroffen. Einerseits betreffen die Haltungen den oberen und unteren Rücken sowie die Schultern und Oberarme, einschließlich des Nackens. Andererseits werden durch Körperzwangshaltungen die Kniegelenke und Beine sowie die Füße stark belastet.

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Die tägliche Arbeit am Miskroskop erfordert eine Körperzwangshaltung, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken kann © Seventyfour – Adobe Stock

Vor dem Hintergrund der Bewertung von Arbeitsbelastungen müssen Arbeitgeber folgendes beachten:

In jeder Körperregion können gleichzeitig mehrere Körperzwangshaltungen eingestuft werden. Dies gilt für den Rücken, die Oberarme sowie für die Knie und Beine. Dabei werden die Wirkungen auf den Rücken bei Teiltätigkeiten im Stehen oder Sitzen und Hocken oder Knien mit der LMM-KH getrennt beurteilt. Das Gleiche gilt für die Wirkungen der Arbeiten auf die Schultern und Oberarme sowie auf die Knie und Beine.

Mit der LMM-KH werden außerdem Arbeiten im Stehen über Kopf sowie das Stehen und die Armhaltung beurteilt. Durch die Beurteilung soll vermieden werden, dass besonders ungünstige und hoch belastende Haltungen zu Tage treten. Darüber hinaus muss der Arbeitgeber aufgrund der Beurteilung eine entsprechende Arbeitsgestaltung sowie eine arbeitsmedizinische Vorsorge in Angriff nehmen.

Tätigkeiten, die mit der LMM-KH beurteilt werden, sind beispielsweise: Fliesenlegen, Arbeiten am Fließband, Deckenmontage, Tätigkeiten im Labor (insbesondere dauerhafte Arbeiten am Mikroskop), Arbeiten im Inneren von Kesseln, Tanks und Schächten.

Abgrenzung der LMM-KH zu anderen Leitmerkmalmethoden

Wird die Belastung der Teiltätigkeit mit Hilfe der LMM-KH beurteilt, muss auch die Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse (LMM-MA) mit berücksichtigt werden. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Arbeiten durch Körperzwangshaltungen sowie durch gleichförmige und wiederholende Bewegungsabläufe und Kraftaufwendungen der Unterarme und Hände auszeichnen.

Darüber hinaus müssen für die Beurteilung weitere Leitmerkmalmethoden (LMM-HHT, ZS, GK) hinzugezogen werden, wenn der Umgang mit Lasten mehr als drei Kilogramm beträgt. ZS ist die Abkürzung für Ziehen und Schieben und GK für Ganzkörperkräfte.

Sollte es an einem Arbeitstag mehrere Teiltätigkeiten mit Haltungsbelastungen geben, müssen diese getrennt erfasst und beurteilt werden. Mögliche und wahrscheinliche körperliche Überbeanspruchungen können nur dann beurteilt werden, wenn alle körperlichen Belastungen beurteilt werden, die an einem Arbeitstag auftreten.

Was ist das Ziel der LMM-KH?

Mit dieser Leitmerkmalmethode sollen die wesentlichen Merkmale durch Körperzwangshaltungen dokumentiert werden. Mit der Methode sollen Arbeitgeber die Zusammenhänge zwischen Tätigkeit und Belastung aufgezeigt bekommen.

Darüber hinaus sollen sie durch die LMM-KH besser einschätzen können, wann eine körperliche Überbeanspruchung wahrscheinlich ist. Außerdem können sie anhand der Ergebnisse, die ihnen diese LMM bringt, spezielle Präventionsmaßnahmen einleiten.

Ab wann spricht man von einer Körperzwangshaltung?

Eine Körperzwangshaltung ist von drei Faktoren abhängig:

  • Die Abweichung von neutralen Körperhaltungen des Rückens, der Schultern und Arme sowie der Knie und Beine ist entscheidend.
  • Die zeitliche Dauer spielt bei Körperzwangshaltungen eine wichtige Rolle. Hier kommt es darauf an, ob die Tätigkeit in der Körperzwangshaltung mehr als eine Minute dauert und in mehr als zehn Sekunden wiederholt wird.
  • Entscheidend ist zudem, ob sie durch einen Haltungswechsel unterbrochen werden kann.

Wenn Haltungsänderungen nicht in eine entspannte und neutrale Körperhaltung zurückführen, spricht man von keiner Unterbrechung der Zwangshaltungen.

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Körperzwangshaltungen sollten regelmäßig unterbrochen werden © Nejron Photo – Adobe Stock

Kriterien für die Beurteilung der Belastungen durch Körperzwangshaltungen

Die sogenannte Zeitwichtung ist das wichtigste Kriterium für die Beurteilung. Hierbei geht es darum, die Gesamtzeit der entsprechenden Teiltätigkeit zu ermitteln, für die diese Beurteilung innerhalb eines Arbeitstages zutrifft. Darüber hinaus wird im Rahmen der Zeitwichtung der Anteil der Körperzwangshaltungen an der Beurteilungszeit gemessen.

Ein weiteres Kriterium für die Beurteilung der Belastungen durch Körperzwangshaltungen sind die erhöhten Haltungsbelastungen. Diese treten vor allem durch das Halten des Oberkörpers in Vorneigung oder Vorbeugung oder auch Rückneigung auf. Die Belastung der oberen Extremitäten wird zusätzlich erhöht, wenn die Abstützung des Körpers fehlt oder es nur fixierte Haltungen sind.

Außerdem erhöhen sich die Haltungsbelastungen von Oberarmen, Schultern und Nacken dann, wenn die Arme im Sitzen, Stehen oder Liegen gehalten werden. Die unteren Extremitäten, insbesondere die Knie und Füße, sind davon weitgehend nicht betroffen.

Für die Bewertung und Beurteilung von Tätigkeiten, die in Körperzwangshaltungen ausgeführt werden, sind Zusatzbelastungen wichtig. Diese Belastungen definieren fortlaufende und ununterbrochene Haltungen, Verdrehungen und Seitneigungen des Körpers. Darüber hinaus beschreiben Zusatzbelastungen Kopfhaltungen, die vorwärts oder rückwärtsgeneigt sind. Zudem definieren sie die fehlende Armabstützung des Körpers bei Vorneigung und Vorbeugung.

Für die Beurteilung spielen die jeweiligen Ausführungsbedingungen eine Rolle. Zum Teil können diese die Belastung erschweren. Beispiele für erschwerte Ausführungsbedingungen von Teiltätigkeiten sind eine eingeschränkte Standsicherheit sowie ein unebener Boden.

Darüber hinaus sind erschweren klimatische Bedingungen, wie Nässe und Kälte oder starke Erschütterungen, wie beispielsweise Vibrationen, die Ausführbedingungen von Tätigkeiten.

Unterteilung der Leitmerkmalmethode Körperzwangshaltungen in vier Schritte

Wie auch bei den anderen Leitmerkmalmethoden wird die LMM-KH für die Bewertung und Dokumentation in vier Schritte unterteilt.

  1. Im ersten Schritt wird die Zeitwichtung bestimmt. Diese erfolgt anhand einer Tabelle. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin stellt diese auf ihrer Webseite zur Verfügung Bei der Bestimmung der Zeitwichtung muss die Gesamtdauer der zu beurteilenden Teiltätigkeit bestimmt werden.
  2. In einem zweiten Schritt wird die Wichtung der Leitmerkmale „Haltungen in 3 Körperregionen“, „Ungünstige Ausführungsbedingungen“ sowie „Weitere Ausführungsbedingungen“ ermittelt. In dem zweiten Schritt wird für jede der drei Körperregionen – Rücken / Arme und Schulter / Knie und Beine – ermittelt, ob eine der Körperhaltungen einmalig mehr als eine Minute oder wiederholt mehr als zehn Sekunden ohne längere Unterbrechungen eingenommen werden muss.
    Zudem wird in dem zweiten Schritt der Anteil der auftretenden Körperzwangshaltungen an der Beurteilungszeit gemessen. Dieser Anteil kann 25 bis 75 Prozent der Teiltätigkeit betragen.
  3. Der dritte Schritt der Beurteilung mit Hilfe der LMM-KH ist die Bewertung der Belastungen infolge der Körperzwangshaltungen. Diese muss für jede Körperregion getrennt erfolgen. Für die Bewertung ist die Summe der Merkmals-Wichtungen einschließlich der Ausführungsbedingungen entscheidend. Die Summen werden anschließend mit der Zeitwichtung multipliziert. Rechenbeispiele hält die BAuA auf ihrer Webseite bereit.
    Für die Bewertung und Beurteilung der Belastung gibt es drei verschiedene Punktwerte A, B, C. Mit diesen wird die zu bewertende Teiltätigkeit eingestuft. Laut Angaben der BAuA kann ein wesentlich erhöhtes Risiko in einer Körperregion nicht durch ein geringes Risiko in einer anderen Körperregion kompensiert werden.
    Die genannten Punktwerte werden einem bestimmten Risikobereich zugeordnet. Anhand dieser Bereiche können Arbeitgeber die Wahrscheinlichkeit einer Überbeanspruchung der entsprechenden Tätigkeit ablesen. Darüber hinaus gibt ihnen der jeweilige Risikobereich Aufschluss darüber, welche gesundheitlichen Folgen die zu bewertende Tätigkeit hat. Dementsprechend kann ein Handlungsbedarf abgeleitet werden.
  4. Der vierte Schritt der Bewertung beschäftigt sich mit der Gestaltung des Arbeitsplatzes und Vorsorge in Bezug auf die Gesundheit der Mitarbeiter. Arbeitgeber müssen beachten, dass ab dem Risikobereich 3 „Wesentlich erhöht“ sowohl kollektive als auch individuelle Präventionsmaßnahmen zwingend notwendig sind. Sollte sich der Punktwert in diesem Bereich bewegen, müssen Arbeitgeber in die Gesundheit der Mitarbeiter investieren.
    Die sogenannten Gestaltungs- und Präventionsmaßnahmen betreffen vor allem besonders schutzbedürftige Beschäftigungsgruppen. Ein Beispiel für diese Gruppen sind jugendliche Azubis. Für diese Gruppen müsse die Maßnahmen unabhängig von der Belastungshöhe und gegebenenfalls im Einzelfall betrachtet werden.

    Sollten sich bei der Bewertung der Arbeitsbelastung die höchsten Punktwerte ergeben, können Arbeitgeber anhand dieser Werte die Ursachen für die Belastungen erkennen und dementsprechend Änderungen auf den Weg bringen.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin stellt auf ihrer Webseite kostenfrei ein PDF-Dokument zur Verfügung, das heruntergeladen werden kann. Das Dokument beschäftigt sich ausführlich mit der Leitmerkmalmethode Körperzwangshaltungen und enthält zudem wichtige Abbildungen, wie beispielsweise verschiedene Körperzwangshaltungen und eine Tabelle mit den Risikobereichen.

Fazit

Die Leitmerkmalmethode Ganzkörperkräfte ist eine von insgesamt sechs Belastungsarten, die gemeinsam von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und dem Institut für Arbeitsmedizin (BAuA), Sicherheitstechnik und Ergonomie entwickelt wurden.

Leitmerkmalmethoden gehören zu den sogenannten Screening-Methoden. Die BAuA stellt auf ihrer Webseite entsprechende Handlungsblätter für Arbeitgeber neben Deutsch in weiteren vier europäischen Sprachen zur Verfügung.

Arbeitgeber sind darüber hinaus dazu verpflichtet, für jeden Arbeitsplatz eine entsprechende Gefährdungsanalyse / Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen. Laut Angaben des Länderausschusses für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) dienen Gefährdungsbeurteilungen dem Erkennen, Bewerten und Beseitigen der Ursachen von Arbeitsunfällen und Gesundheitsbeeinträchtigungen infolge der beruflichen Tätigkeit.

Die verschiedenen Leitmerkmalmethoden sind dabei wichtige Instrumente, um die Gefährdungsbeurteilungen vorzunehmen. Am Ende der Berechnungen erhalten Arbeitgeber verschiedene Punktwerte, die sich unterschiedlichen Risikobereichen zuordnen lassen. Anhand dieser Risikobereiche können Handlungsmaßnahmen eingeleitet werden, um beispielsweise Muskel-Skelett-Erkrankungen vorzubeugen. Die Punkwerte geben Arbeitgeber einen Anhaltspunkt, ob sie Maßnahmen ergreifen müssen, um die physische Gesundheit der Beschäftigten zu schützen.

Das körperliche Wohlbefinden der Mitarbeiter ist für den wirtschaftlichen Erfolg einer Firma entscheidend. Zudem bleibt durch die physische und psychische Gesundheit der Mitarbeiter die Wettbewerbsfähigkeit des Betriebs erhalten. Arbeitgeber müssen auch Gefährdungsbeurteilungen mit Blick auf den Schutz der psychischen Gesundheit der Mitarbeiter durchführen. Auch hier spielen Leitmerkmalmethoden eine wichtige Rolle.

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