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Barrierefreiheit
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Barrierefreiheit am Arbeitsplatz: Für erfolgreiche Inklusion und Rehabilitation

  • 13.04.2022
  • Klaus Buhmann
  • 8 Min.

Wenn Mitarbeiter mit gesundheitlichen Einschränkungen ins Arbeitsleben integriert werden sollen (Rehabilitation/Inklusion), ist eine Anpassung der Arbeitsstätte einschließlich des Arbeitsplatzes an deren spezifische Bedürfnisse notwendig.

Welche Kriterien für barrierefreie Arbeitsplätze gelten, wie zeit- und kostenaufwendige Nachbesserungen vermieden werden können und warum Unternehmen davon profitieren, wenn Arbeitsplätze bereits präventiv barrierefrei eingerichtet werden, zeigt dieser Beitrag.

Was heißt Barrierefreiheit?

Die zwei Begriffe „Barrierefreiheit“ und „behindertengerecht“ werden gerne gleichwertig genutzt, bedeuten aber nicht dasselbe. Barrierefreiheit bedeutet, dass beispielsweise

  • Arbeitsstätten
  • Betriebsmittel
  • Verkehrsmittel
  • Dienstleistungen
  • Freizeitangebote und mehr

ohne fremde Hilfe genutzt werden können bzw. zugänglich sind. Daraus folgt, dass lediglich das Aufbauen von Rampen für Menschen mit motorischen Einschränkungen nicht ausreichend ist, um beispielsweise ein Unternehmen als barrierefrei bezeichnen zu können.

Warum ist Barrierefreiheit für alle von Vorteil?

Barrierefreiheit ist für alle Arbeitnehmer und Kunden eines Unternehmens von Vorteil. Denn damit ist nicht nur ein unbeschränkter Zugang gemeint. Zum Beispiel hilft ein Aufzug im Bürogebäude nicht nur dem kaufmännischen Mitarbeiter, der bereits seit Kindheitstagen auf einem Rollstuhl angewiesen ist, sondern auch der Mitarbeiterin aus der Buchhaltung, die sich beim Skifahren im Urlaub das Bein gebrochen hat. Auch ältere Kunden des Unternehmens profitieren von solchen Erleichterungen.

Barrierefreiheit, Inklusion und Rehabilitation: Diese Gesetze haben Einfluss

1. BGG (Behindertengleichstellungsgesetz)

Das BGG (Behindertengleichstellungsgesetz) wurde geschaffen, um zu vermeiden, dass Menschen mit einer Behinderung kein selbstbestimmtes Leben in mitten der Gesellschaft führen. Die Vorgaben des BGG sind nur für staatliche Institutionen, wie z. B. das Landratsamt, das Arbeitsamt usw., rechtsverbindlich. Trotzdem stellen sie eine hilfreiche Richtlinie zur Gestaltung barrierefreier Unternehmen dar.

BGG: die wichtigsten Artikel

BGG § 8: Allgemeingültige Vorgaben für Bau und Verkehr, die dabei helfen sollen, tatsächliche Barrierefreiheit zu erreichen.

BGG § 9 spricht eingeschränkten Menschen das Recht zu, Gebärdensprache und andere Kommunikationsmittel zu verwenden.

BGG § 11: Hier werden Vorgaben zur barrierefreien Informationstechnik gemacht.

BGG § 13 schreibt vor, dass Unternehmen mit Behindertenverbänden Zielvereinbarungen treffen sollen. Nur wenn diese aufgrund verordnungsrechtlicher oder gesetzlicher Vorschriften unmöglich zu erfüllen sind, sind Unternehmen davon befreit

Wissenswert: Das BGG wurde von vielen Behindertenverbänden stark kritisiert, da es der Privatwirtschaft nur wenige bis gar keine Verpflichtungen auferlegt.

2. Grundgesetz

Grundgesetz Artikel 3 (3): „(…) Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Dies ist verfassungsrechtlicher Auftrag und Verpflichtung zugleich.

3. ArbStättV (Arbeitsstättenverordnung)

Die Arbeitsstättenverordnung schreibt vor, dass Menschen mit Behinderungen einen Anspruch auf Arbeitsstätten haben, die unter Berücksichtigung deren besonderer Bedürfnisse (Sicherheit und Gesundheitsschutz) eingerichtet und betrieben werden.

Konkret betrifft das die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsplätzen, Türen, Verkehrswegen, Fluchtwegen, Notausgängen, Treppen, Orientierungssystemen, Waschgelegenheiten und Toilettenräumen (§ 3a Abs. 2 ArbStättV).

barrierefreies Bauen
© kiono – fotolia.com

Die Vorgaben der ArbStättV gelten zunächst für Neubauten und bei wesentlichen Erweiterungen und Umbauten, aber auch wenn Arbeitsverfahren oder Arbeitsabläufe wesentlich umgestaltet werden.

Wissenswert: Mit der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) wurde in Deutschland bereits 2004 ein Rechtsanspruch auf Barrierefreiheit am Arbeitsplatz begründet. Ganz im Sinne der Arbeitnehmer, die trotz Behinderung ihren Lebensunterhalt selbst verdienen wollen.

4. UN-BRK (UN-Behindertenrechtskonvention)

Die UN-BRK (UN-Behindertenrechtskonvention) wurde 2006 ins Leben gerufen. Neben Deutschland wurde der Völkerrechtsvertrag insgesamt von 177 Staaten ratifiziert.

UN-BRK: Inhalt

Im UN-BRK wird verdeutlicht, dass die Menschenrechte für alle gelten. Auch für Menschen mit Behinderung. Zudem wird Arbeitgebern nahegelegt, ihre Türe nicht für behinderte Mitarbeiter zu verschließen, da diese eine deutliche Bereicherung für ein Unternehmen darstellen können.

Rehabilitation und Inklusion: Barrierefreiheit als Basis ist unverzichtbar

Eine barrierefreie Gestaltung führt Erkenntnisse der Arbeitswissenschaften mit denen der Rehabilitation zusammen. Damit werden die Bedürfnisse sowohl der nicht behinderten als auch der behinderten Nutzer von Gebäuden und Arbeitseinrichtungen berücksichtigt.

Dieser Ansatz wird in der Praxis umgesetzt durch:

  • eine Gestaltung, die sicherstellt, dass das Gebäude/ Arbeitsmittel ohne zusätzliche Veränderung von den meisten Nutzern sicher, selbstbestimmt und eigenverantwortlich genutzt werden kann,
  • Anpassungen eines Gebäudes/Produktes an die Bedürfnisse verschiedener Nutzer und
  • standardisierte Schnittstellen für die Anwendung individueller Hilfsmittel.

Die Auswirkungen:

  1. Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen können ein Produkt, Gebäude oder einen Arbeitsplatz erstmalig nutzen.
  2. Für die bisherigen Nutzer wird die Handhabung einfacher, sicherer, komfortabler.
  3. Arbeitsuchenden mit Behinderungen werden neue Tätigkeitsfelder und Arbeitsmöglichkeiten eröffnet.
  4. Für „Leistungsgewandelte“ bleiben mehr Tätigkeiten als bisher erhalten.
  5. Eine alters- oder altengerechte Gestaltung wird Bestandteil der allgemeinen Gestaltung.
  6. Die Tätigkeiten werden für alle Mitarbeiter unfallsicherer und belastungsärmer.
  7. Alle Arbeitsplätze werden effektiver und wirtschaftlicher.

Barrierefreiheit: die Vorteile

Ein Nachrüsten des Unternehmens scheint auf den ersten Blick ein teures Prozedere. Der Schein trügt, denn Barrierefreiheit bringt mehr Vorteile mit sich, als man vermutet. Die positiven Effekte der barrierefreien Gestaltung der Firmenumgebung ist in vielen Bereichen wahrzunehmen.

Die ergonomische Dimension

Barrierefreie Gebäude/Produkte sind an die Fähigkeiten der Nutzer angepasst. Sie entsprechen den Grundanforderungen an Zugänglichkeit, Ausführbarkeit, Belastung und Beanspruchung für Menschen mit eingeschränkten Fähigkeiten. Dadurch werden auch für nicht behinderte Mitarbeiter Arbeitssicherheit, Leistung und Motivation erhöht, Belastungen, Beanspruchungen und Fehlerquoten gesenkt.

Positiver Effekt: Um einen Arbeitsplatz zu besetzen, können Arbeitgeber den geeignetsten Bewerber einstellen – unabhängig von einer eventuell vorhandenen Behinderung.

Die psychologische Dimension

Barrierefreie Gebäude/Produkte können die persönliche Lebenssituation der Nutzer erhalten und verbessern. Bei gleichartigen Tätigkeiten sind gegenseitige Vertretungen möglich. Arbeitsplätze unterscheiden sich nicht aufgrund der besonderen Bedürfnisse Einzelner.

Positiver Effekt: Mit barrierefreier Gestaltung wird vermieden, dass behinderte Mitarbeiter ausgegrenzt werden.

Die soziale Dimension

Barrierefreie Gebäude/Produkte ermöglichen mehr Menschen die soziale Teilhabe, weil sie mehr Menschen uneingeschränkt nutzen können. Menschen mit Behinderungen können ihre Fähigkeiten einbringen.

Positiver Effekt: Lohnnebenkosten und soziale Aufwendungen werden reduziert.

Die wirtschaftliche Dimension

Barrierefreie Gebäude/Produkte erweitern die Zahl potenzieller Nutzer/Käufer, weil auch Personen mit eingeschränkten Fähigkeiten einbezogen werden. Mitarbeiter mit Behinderungen können ihre Bedürfnisse artikulieren: So können Unternehmen auch Zielgruppen mit besonderen Bedürfnissen gezielter ansprechen und als Kunden gewinnen.

Positiver Effekt: Für Dienstleister ergeben sich neue Kundenkreise, für Produzenten neue Käuferschichten.

Leitfäden und Checklisten, die bei der Beurteilung der Barrierefreiheit helfen sollen

Mittlerweile gibt es im Bezug auf Barrierefreiheit unterschiedliche Leitfäden, die von verschiedenen Institutionen, wie z. B. der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) oder der DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung), entwickelt wurden. Diese sollen dabei helfen, Barrierefreiheit in Unternehmen als Standard fest zu etablieren.

Wissenswert: SIGMA wendet sich vorrangig an betriebliche Arbeitsschutzexperten. Es ist also für Sifas und Betriebsärzte entwickelt, die bereits Erfahrung in der Bewertung von Arbeitstätigkeiten nach arbeitswissenschaftlichen und arbeitspsychologischen Kriterien mitbringen. BASA ist als Befragungsinstrument für die Mitarbeiter an den Arbeitsplätzen konzipiert.

Was „barrierefreies Bauen und Gestalten“ bedeutet

Barrierefreies Bauen meint oft das Vermeiden von Barrieren und Hindernissen, vor allem bei

  • Zugängen und Bewegungsflächen,
  • Orientierungssystemen und
  • der Erreichbarkeit und Nutzbarkeit der Raumausstattung.

Dabei werden die Bedürfnisse der Gruppe ermittelt, die die weitreichendsten Anforderungen an die Gestaltung der Umgebung stellt und die auch in dieser Umgebung angetroffen werden können. Anhand dieser Anforderungen wird dann barrierefreies Bauen umgesetzt.

Barrierefreies Bauen im Unternehmen umsetzen

Durch barrierefreies Bauen werden nicht nur benachteiligten Personen die Türen geöffnet, sondern auch sichergestellt, dass durch Arbeitsunfälle verletzte Mitarbeiter schnell wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren können. Die folgenden 3 Beispiele zeigen, wie das Gestaltungsprinzip namens „Barrierefreies Bauen“ im Unternehmen umgesetzt werden kann.

Beispiel 1: Stufen und Schwellen

Wenn für alle Stufen und Schwellen in Unternehmensgebäude die bestehenden sicherheitstechnischen Bestimmungen und ergonomischen Empfehlungen konsequent umsetzen werden, können die Sicherheit und die Nutzbarkeit auch für Personen mit eingeschränkten Fähigkeiten signifikant erhöht werden. Derartige Maßnahmen sind z. B.:

  • Einhalten der Schrittmaße nach der Treppenformel
  • ausreichende Rutschsicherheit durch geeignetes Material und Pflege
  • konsequentes Vermeiden von Unterschneidungen durch Verwenden von Blockstufen
  • kontrastreiche Gestaltung; schattenfreie Ausleuchtung

Wichtig: Beim barrierefreien Gestalten eines Unternehmens muss die Personengruppe mit den weitreichendsten Anforderungen im Fokus stehen. Im Bereich der Mobilität haben z. B. die Menschen die weitestreichenden Bedürfnisse, die auf ein Fahrzeug, wie z. B. den Rollstuhl, angewiesen sind.

Dazu gesellen sich alle, die z. B. Transportwagen, Umzugscontainer, Sackkarren, Catering-, Post- und Materialwagen einsetzen. Für diese Gruppen kann ein Höhenunterschied durch Stufen oder Schwellen eine unüberwindliche Barriere darstellen! Darum sollte bei Neu- und Umbauten im Außen- und Innenbereich grundsätzlich darauf geachtet werden, derartige Barrieren zu vermeiden

Gerade dieses Beispiel macht auch deutlich, dass alle Mitarbeiter von einer barrierefreien Gestaltung profitieren können: Stufen sind nicht nur ein Hindernis für Rollstuhlfahrer, sie sind auch Stolperfallen für alle anderen Mitarbeiter. Und Stolpern, Rutschen oder Stürzen gehören nach wie vor zu den häufigsten Arbeitsunfällen. Wer sich bei Neu- und Umbauten von vornherein für barrierefreies Bauen einsetzt, tun auch etwas für eine positive Entwicklung der Unfallstatistik in seinem Unternehmen.

Beispiel 2: Lichte Durchgangsbreiten

Durchgänge können von allen Mitarbeitern problemlos genutzt werden, wenn die lichte Breite für die Gruppe mit den weitestgehenden Bedürfnissen berücksichtigt wird. In Arbeitsstätten sind entgegen üblicher Meinung nicht die Rollstuhlfahrer die Gruppe mit den weitestreichenden Bedürfnissen, sondern Mitarbeiter, die Flure und Fußwege mit Wagen zum Transport benutzen müssen.

Tipp: Umfangreiche Studien haben ergeben, dass ein Maß von 0,90 m in üblichen Arbeitsstätten ausreichend als lichte Durchgangsbreite ist. Dies gilt für Türen, Sperren sowie für Flure und Durchgänge an Kassen und Essensausgaben, bei denen nicht gewendet werden muss und bei denen keine Begegnungen stattfinden. Sind Wendungen erforderlich oder Begegnungen möglich, so müssen die Breite auf 1,50 m erhöht werden.

Beispiel 3: Betätigungshöhen

Ein weiteres Problem ist die Erreichbarkeit von Bedienungselementen oder Stellteilen. Hier müssen vor allem auch entgegengesetzte Bedürfnisse berücksichtigt werden, nämlich für

  • großwüchsige Personen,
  • kleinwüchsige Personen (und in sozialen Einrichtungen: Kinder) sowie
  • querschnittgelähmte Personen mit minimaler Bewegungsfähigkeit der Arme und Finger.

Tipp: Arm- und Beinlängen stehen zueinander in einem proportionalen Verhältnis. Menschen mit langen Beinen haben auch lange Arme, Menschen mit kurzen Beinen auch kurze Arme. Daraus folgt, dass bei herabhängenden Armen die Höhe der Hände bei großen und kleinen Menschen nicht stark differiert.

In etwa entspricht die Handhöhe auch derjenigen, bei der im Rollstuhl die Arme auf Armstützen fixiert sind. Dies ist eine Höhe von zirka 0,85 bis 0,90 m über Oberkante Fußboden. Auch kleinwüchsige Personen und Kinder können diese Höhe leichter erreichen als die zurzeit übliche Höhe bei Schaltern und Türgriffen von 1,05 m.

Die genannten Anforderungen können in DIN 18040-1 „Planungsgrundlagen – Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude“ noch einmal genauer nachgelesen werden. Referenzbauten (Verwaltungs- und Bürogebäuden) haben gezeigt, dass sich das Bauvorhaben nicht verteuert, wenn diese Anforderungen bereits bei der Planung von Neu- und großen Umbauten frühzeitig berücksichtigt werden.

Die Besonderheit von Aufzügen

Auf ein viel diskutiertes Problem soll an dieser Stelle noch ausdrücklich hingewiesen werden: Auch in Gebäuden, die in beschriebener Weise einwandfrei gestaltet sind, kann es vorkommen, dass einzelne Personen sie aufgrund ihrer individuellen Behinderung nicht nutzen können. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn eine mehrstöckige Arbeitsstätte nicht mit einem Aufzug ausgestattet wird.

Dabei gilt: Wird der Einbau eines Aufzugs nur mit der Anwesenheit einzelner behinderter Personen begründet, erscheint die Maßnahme schnell unwirtschaftlich. Jedoch sollten auch Lastentransporte und die Nutzung von Transportwagen genauso in die Bewertung miteinfließen, wie die Kundenstruktur.

Dann kann sich das Bild schnell ändern! Betreiben beispielsweise Notare oder Ärzte ihre Kanzleien und Praxen in Obergeschossen, die nur über Treppen zu erreichen sind, verzichten sie auf einen Teil der kapitalkräftigen Senioren und Seniorinnen als Zielgruppe.