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Gefährdungsbeurteilung Baustelle
Foto: © Roman023_photography - Shutterstock

Gefährdungsbeurteilung der Baustelle: So gelingt die Durchführung

  • 17.05.2023
  • Christoph Ledder
  • 7 Min.

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) teilt auf ihrer Website mit, dass sie für das Jahr 2022 eine dramatische Bilanz der Arbeitsunfälle auf dem Bau befürchtet. Dabei verweist die Gewerkschaft auf vorläufige Zahlen der BG Bau (Berufsgenossenschaft Bau). Demnach waren bis zum August 2022 deutschlandweit 56 Bauarbeiter auf Baustellen tödlich verunglückt. Die häufigste Ursache waren Abstürze aus großer Höhe sowie tödliche Verletzungen durch herabfallende Teile. Darüber hinaus gab es bis Mitte 2022 insgesamt 65.701 meldepflichtige Arbeitsunfälle. Für die IG Bau ist dies ein besorgniserregender Zustand. Seit Jahren bewege sich die Unfallbilanz auf dem Bau auf einem erschreckend hohen Niveau. Daher verweist die IG Bau auf den mangelnden Arbeitsschutz auf Baustellen und mahnt gleichzeitig zu einem höheren Kontrolldruck. Anhand dieser Zahlen wird deutlich, dass Gefährdungen auf dem Bau sowohl von Arbeitgebern als auch von Arbeitnehmern nicht unterschätzt werden dürfen und die baustellenbezogene Gefährdungsbeurteilung im Betrieb immens wichtig ist.

Warum ist die Gefährdungsbeurteilung für Baustellen so wichtig?

Auf dem Bau besteht eine erhöhte Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter. Dies belegen nicht nur die jüngst veröffentlichten Zahlen zu den tödlichen Unfällen auf Baustellen, sondern auch die hohe Zahl der Berufskrankheiten mit tödlichem Ausgang, die in Zusammenhang mit Tätigkeiten auf dem Bau stehen. Laut Angaben der Berufsgenossenschaft (BG Bau) starben im Jahr 2021 427 Bauarbeiter an den Folgen von Krankheiten. 
Mit einer Gefährdungsbeurteilung können Arbeitgeber nicht nur Mängel in puncto Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz aufdecken, sondern auch Arbeitsabläufe verbessern und die allgemeine Qualität der Arbeit steigern. Anhand der Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung müssen Arbeitgeber Schutzmaßnahmen zum Erhalt der Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter entwickeln und umsetzen. Grundlage für die Entwicklung und Umsetzung der Maßnahmen sind die Ergebnisse aus der Beurteilung. Sie dient als nützliches Instrument, um Gefährdungen auf dem Bau im Vorfeld zu erkennen und zu verhindern bzw. das Gefahrenpotenzial zu reduzieren.  

Von der Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten auf dem Bau hängt zudem der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens ab. Darüber hinaus sind es Faktoren, welche unter anderem die Qualität des Unternehmens widerspiegeln. Gefährdungsbeurteilungen auf Baustellen helfen Unternehmen bzw. Arbeitgebern indirekt dabei, den wirtschaftlichen Erfolg zu halten und auszubauen.

Sind Arbeitgeber zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung einer Baustelle verpflichtet?

Arbeitgeber sind zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung einer Baustelle verpflichtet. Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) bildet hier den rechtlichen Rahmen – insbesondere § 5 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG). Die Gefährdungsbeurteilung muss dabei laut Gesetzgeber je nach Art der Tätigkeit bzw. je nach Arbeitsplatz vorgenommen werden. Bei gleichen Arbeitsbedingungen reicht die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit.

Wie wird die Gefährdungsbeurteilung auf einer Baustelle durchgeführt?

Zu Beginn der baustellenbezogenen Gefährdungsbeurteilung ist die Informationsbeschaffung seitens der Arbeitgeber bzw. Bauherren im Betrieb wichtig. So muss die Beurteilung folgende Informationen enthalten:

  • Zu den Arbeitsmitteln und dem Einsatz dieser Arbeitsmittel auf der Baustelle.
  • Angaben zu den Gefahrstoffen
  • Informationen zu arbeitsbedingten Erkrankungen und Berufskrankheiten
  • Mitarbeiterbefragung und Begehung der Baustelle
  • Informationen zu psychischen Belastungen

Die Durchführung der Beurteilung im Betrieb lässt sich in insgesamt sieben folgende Schritte unterteilen:

• Vorbereitung
• Ermittlung der Gefährdungen
• Beurteilen der Gefährdungen
• Schutzmaßnahmen festlegen
• Maßnahmen realisieren bzw. umsetzen
• Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen überprüfen
• Fortschreibung der Gefährdungsbeurteilung


Wie wird die Gefährdungsbeurteilung für Baustellen vorbereitet?

Bei den Vorbereitungen der Gefährdungsbeurteilung ist es wichtig, den Ist-Zustand der Baustelle im Betrieb genau zu erfassen. Sie sollte am Anfang jeder Gefährdungsbeurteilung einer Baustelle stehen. Zu den vorbereitenden Maßnahmen gehört auch die Frage, welche Art von Arbeiten auf dem Bau ausgeführt werden und welche Gewerke dort vertreten sind. Handelt es sich zum Beispiel um Dach- und Installationsarbeiten oder ausschließlich um Maurerarbeiten? Darüber hinaus ist die Größe der Baustelle für die Beurteilung von Gefährdungen relevant und gehört unter den Punkt Vorbereitungen. 

Wie funktioniert die Gefährdungsermittlung auf Baustellen?

In dem zweiten Schritt, der Gefährdungsermittlung, müssen Arbeitgeber nach den besonderen Gefährdungspotenzialen auf der Baustelle Ausschau halten. Dabei sind die Gefährdungen von Baustelle zu Baustelle unterschiedlich, denn jede Baustelle ist unterschiedlich. Darüber hinaus variieren die Abläufe der Arbeiten sowie die Anzahl der Arbeiter. Weitere Fragen, die im Rahmen der Ermittlungen von Gefährdungen gestellt werden müssen, sind beispielsweise, ob es sich um eine Hoch- oder Tiefbaustelle handelt oder ob Gefahrstoffe zum Einsatz während der Arbeiten kommen.

Die Frage nach dem Einsatz gefährlicher Arbeitsmittel ist wichtig, da Gefahrstoffe großes Gefahrenpotenzial bergen. Propangas zählt zum Beispiel zu den Gefahrstoffen. Das Gerüst, sofern vorhanden, sollte bei der Gefährdungsermittlung ebenfalls Aufmerksamkeit bekommen. Hier muss die Frage nach der Verankerung zwingend gestellt und beantwortet bzw. überprüft werden.

Wie funktioniert die Beurteilung der Gefährdungen auf dem Bau?

Sind alle Gefährdungen auf der Baustelle ermittelt, erfolgt in einem dritten Schritt die eigentliche Beurteilung der Gefährdungen. Konkret heißt das, dass Arbeitgeber oder externe Gutachter – zum Beispiel von der Berufsgenossenschaft oder von der DGUV – einschätzen müssen, ob sich aus den ermittelten Gefährdungen tatsächlich Gefahren für die Arbeiter auf der Baustelle ergeben können. Darüber hinaus gehört zur Gefährdungsbeurteilung die Überlegung, welche Gefährdungen zwingend eingedämmt werden müssen und welche Arbeiten mit den Gefährdungen fortgeführt werden können. 

Wichtig: Die Berufsgenossenschaften sowie die DGUV bieten kostenfreie Handlungshilfen und Checklisten zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung an. 
 

Wie erfolgt die Entwicklung der baustellenbezogenen Schutzmaßnahmen?

Arbeitgeber tun gut daran, das sogenannte TOP-Prinzip (Technisch-Organisatorisch-Personenbezogen) bei der Entwicklung der Maßnahmen für die Baustelle anzuwenden. Technische Schutzmaßnahmen sind zum Beispiel die Installation einer Absturzsicherung bei Schächten. Zu den organisatorischen Maßnahmen gehören Unterweisungen im Vorfeld der Bauarbeiten. Unterweisungen müssen Arbeitgeber dann vornehmen, wenn auf der Baustelle Arbeitsmittel und Maschinen zum Einsatz kommen. Zu den personenbezogenen Maßnahmen gehört die Ausgabe der PSA – die Persönliche Schutzausrüstung für die Mitarbeiter. Auf Baustellen sind Sicherheitsschuhe und der Schutzhelm Pflicht und müssen vom Arbeitgeber gestellt werden.

Wie erfolgt die Umsetzung der baustellenbezogenen Schutzmaßnahmen?

Bei der Umsetzung der Schutzmaßnahmen für die Baustelle ist es wichtig, Kompetenzen und die Prioritäten festzulegen. Zudem sollten Arbeitgeber einen zeitlichen Rahmen schaffen, bis wann die Maßnahmen spätestens umgesetzt werden.

Außerdem ist es wichtig, dass die Mitarbeiter auf der Baustelle Kenntnis von den anstehenden Schutzmaßnahmen bekommen und über die ermittelten Gefährdungen aufgeklärt werden. Ein weiterer, wichtiger Punkt vor dem Hintergrund der Umsetzung der Maßnahmen ist die Unterweisung der Beschäftigten durch den Vorgesetzten. Die Unterweisung sollte dahingehend gestaltet werden, dass alle Mitarbeiter auf dem Bau Bescheid darüber wissen, welche Arbeiten unterlassen werden sollen, um Unfälle zu vermeiden.

Außerdem müssen sie über die eingesetzten Arbeitsmittel wie Gefahrstoffe und den korrekten Umgang damit unterwiesen werden. Im Rahmen der Unterweisung besteht die Notwendigkeit auf das Gefahrenpotenzial von Gefahrstoffen hinzuweisen. Die Unterweisung dient einerseits dem Erhalt der Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter, andererseits schafft die Unterweisung Vertrauen zwischen dem Arbeitgeber und den Beschäftigten. Mit der Unterweisung und der Umsetzung der einzelnen Schutzmaßnahmen auf der Baustelle gehen Arbeitgeber auf Nummer sicher, dass alle Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) eingehalten werden.


Wie muss die Wirksamkeit der Maßnahmen auf der Baustelle überprüft werden?

Die Wirkung der Maßnahmen sollte in regelmäßigen Abständen auf deren Wirkung hin überprüft werden. Gerade auf Baustellen gibt es manche Gefährdungen, auf die es besonderes Augenmerk zu legen gilt. Es sollte regelmäßig geprüft werden, ob alle Schutzmaßnahmen entsprechend umgesetzt wurden. Zudem müssen Arbeitgeber kontinuierlich prüfen, ob die Gefährdungen beseitigt sind, oder ob sich auf der Baustelle in der Zwischenzeit neue Gefährdungen für die Beschäftigten ergeben haben. Außerdem müssen sich die Verantwortlichen der Baustelle die Frage stellen, ob noch weitere Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden müssen. 

Sollte die baustellenbezogene Gefährdungsbeurteilung kontinuierlich erweitert werden?

In jedem Fall sollte die Beurteilung von Gefährdungen fortlaufen, da sich das Gefahrenpotenzial auf dem Bau stets verändern kann – beispielsweise durch den Einsatz von neuen Maschinen. Deshalb ist es wichtig, bestehende Gefährdungsbeurteilungen anzupassen, wenn sich die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten ändern.

Was sind die größten Gefahren auf Baustellen?

• Herumliegende Gegenstände
• Schwere Lasten
• Defekte Werkzeuge
• Arbeiten mit Gefahrstoffen – vor allem Tätigkeiten mit ätzenden Stoffen
• Herumliegende Kabel, die Stolperfallen darstellen
• Fahrzeuge, die über die Baustelle fahren

Die genannten Gefahren auf dem Bau sind breit gefächert und dürfen unter keinen Umständen stiefmütterlich behandelt werden. Die Gefahren stellen nur ein Teil der Gefährdungen für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten dar und verdeutlichen, dass eine Gefährdungsbeurteilung auf dem Bau selbstverständlich sein muss.

Wann muss die Gefährdungsbeurteilung für die Baustelle durchgeführt werden?

Grundsätzlich muss die Gefährdungsbeurteilung vor Aufnahme der Tätigkeit vom Arbeitgeber durchgeführt werden. Darüber hinaus sind sie dazu verpflichtet, Gefahren an ihrer Quelle zu bekämpfen (§ 4 ArbSchG). Da auf einer Baustelle oft verschiedene Gewerke gleichzeitig arbeiten, bestehen unterschiedliche Gefahren – abhängig vom Baufortschritt. Aus diesem Grund muss einerseits die sogenannte “Grundgefährdungsbeurteilung” vor dem Beginn der Arbeiten erfolgen. Andererseits muss diese Grundgefährdungsbeurteilung um die speziellen Gefahren auf der Baustelle ergänzt werden.

Wer führt die Gefährdungsbeurteilung auf der Baustelle durch?

Im Allgemeinen sind Arbeitgeber zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung sowie zur Umsetzung der Schutzmaßnahmen verpflichtet. Bei einer Baustelle unterliegt dem jeweiligen Bauherrn diese Pflicht. Beide – sowohl der Arbeitgeber als auch der Bauherr – müssen die Gefährdungsbeurteilung jedoch nicht selbst erstellen, sondern können dafür eine Person beauftragen, die dazu befähigt ist.

Darüber hinaus ergeben sich weitere Pflichten für Bauherren und Arbeitgeber aus der Baustellenverordnung. Gemäß § 4 der Baustellenverordnung muss ein Sicherheits- und Gesundheitsplan erstellt werden. Bei der Erstellung des Plans hilft der SiGeKo – der Sicherheits- und Gesundheitskoordinator. Die Berufsgenossenschaft (BG Bau) sowie die DGUV geben detaillierte Informationen dazu, an wen sich Bauherren und Arbeitgeber wenden können in Bezug auf die Durchführung und Erstellung der Gefährdungsbeurteilung.