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Alleinarbeit
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Alleinarbeit: Bedeutung, Risiken und Schutzmaßnahmen

  • 23.05.2023
  • Torsten Niermann
  • 8 Min.

In der modernen und globalisierten Arbeitswelt gibt es diverse Arbeitsformen. Während manche Beschäftigte in bereichsübergreifenden Teams arbeiten, sich absprechen und Entscheidungen gemeinsam treffen, arbeiten andere vorwiegend remote an verschiedenen Arbeitsorten oder im Homeoffice. Der Anteil von Beschäftigten in Alleinarbeit, bei der an einem Einzelarbeitsplatz und ohne Kollegen in Sichtweite und Rufweite eine Tätigkeit verrichtet wird, vergrößert sich von Jahr zu Jahr. Alleinarbeit hat im Gegensatz zur Tätigkeit im Team ein höheres Risikopotenzial für Unfälle und Gefährdungen. Doch was ist Alleinarbeit überhaupt? Wie wird die Gefährdungsbeurteilung für die Alleinarbeit durchgeführt und welche Schutzmaßnahmen sind zu ergreifen? Der folgende Artikel liefert Ihnen die wichtigsten Informationen rund um die Alleinarbeit.

Was versteht man unter Alleinarbeit? 

Gemäß den Regeln und Vorschriften der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) liegt Alleinarbeit vor, wenn eine Person allein, außerhalb von Ruf- und Sichtweite zu anderen Personen, Arbeiten ausführt. Dies definiert die DGUV Regel 100-001 im Unterpunkt „Grundsätze der Prävention.“

Wann liegt Alleinarbeit vor?

Es gibt viele Tätigkeiten, die in Alleinarbeit durchgeführt werden. Neben Bürotätigkeiten, die in abhängigen Arbeitsverhältnissen oder von Selbstständigen oder Freiberuflern durchgeführt werden, gibt es ebenfalls viele handwerkliche, technische oder industriell geprägte Tätigkeiten, die in Alleinarbeit durchgeführt werden müssen. Bei der Arbeit mit gefährlichen Stoffen, Maschinen oder Tätigkeiten mit Strahlung, Hitze oder Kälte müssen zusätzliche Personenschutzmaßnahmen greifen, um Risiken bei der Alleinarbeit zu minimieren. Typische Tätigkeiten der Alleinarbeit sind:

  • Freiberufler wie Rechtsanwälte, Buchhalter und Berater, 
  • Freiberufliche Autoren und Redakteure,
  • Auslieferungsfahrer und Mitarbeiter im Post- und Paketdienst,
  • Immobilienmakler, 
  • Nachtwächter und Portiers,
  • Hausmeister und Anbieter von Gartenpflege,
  • Mitarbeiter in der häuslichen Pflege,
  • Beschäftigte in der Gastronomie,
  • Schreiner, die Möbel bauen,
  • Bauarbeiter auf einer Baustelle,
  • Mechaniker, die Autos oder Motorräder reparieren, 
  • Elektriker, die Leitungen, Steckdosen und Armaturen installieren, 
  • Klempner, die Sanitäranlagen installieren, 
  • Computertechniker, die Hardware reparieren und ausliefern, 
  • Monteure aller Fachrichtungen, die im Außendienst tätig sind,
  • Reinigungskräfte und Mitarbeiter in der Raumpflege sowie
  • Polizisten und Feuerwehrleute.

Warum ist Alleinarbeit gefährlich? 

Alleinarbeit bedeutet per Definition nicht grundsätzlich, dass ein Mitarbeiter komplett allein und ohne Kollegen arbeitet. Bei Alleinarbeit befinden sich andere Menschen nicht in Ruf- oder Sichtweite und können bei einer Gefährdung oder einem Unfall nicht unmittelbar reagieren. Aus diesem Grund ist bei Alleinarbeit das Risiko von Unfällen oder Verletzungen deutlich erhöht. 

Ohne die Hilfe einer zweiten Person ist die Wahrscheinlichkeit von Stürzen sowie anderen Arten von Unfallverletzungen auf Baustellen, die durch die Bedienung von Maschinen oder den Umgang mit gefährlichen Materialien verursacht werden können, signifikant erhöht. Darüber hinaus ist das Risiko, angegriffen oder überfallen zu werden, höher, da keine weitere Person im Notfall Hilfe leisten kann. Darüber hinaus gibt es bei langfristiger Alleinarbeit psychologische Risiken, wie z. B. Gefühle der Einsamkeit und Depressionen, die ernsthafte Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit haben können. 

Alleinarbeitende müssen sich daher über lange Zeit selbst motivieren und die Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernehmen. Aus diesem Grund ist es wichtig sicherzustellen, dass allein arbeitende Personen im Angestelltenverhältnis angemessen geschult werden, die Risiken ihrer Tätigkeit einschätzen können und bei gefährlichen Arbeiten besondere Vorsicht walten lassen. 

Welche Pflichten hat der Arbeitgeber bei Alleinarbeit?

Aufgrund der erhöhten Gefahr bei Alleinarbeit ist es wichtig, dass Arbeitgeber in einer individuellen Gefährdungsbeurteilung alle potenziellen Sicherheitsrisiken berücksichtigen, sobald sie Personen mit Aufgaben betrauen, bei denen Alleinarbeit alternativlos ist. Dies gibt das Arbeitsschutzgesetz (ArbschG) vor. Angemessene Sicherheitsvorkehrungen und Personenschutzmaßnahmen sowie die erforderliche Ausbildung und Schutzausrüstung sowie Kommunikationssysteme, die im Notfall für erste Hilfe sorgen, sind wichtig, um Mitarbeiter an Einzelarbeitsplätzen zu schützen. 

Was müssen Selbstständige bei Alleinarbeit beachten?

Selbstständige und Freiberuflicher stehen in der Verantwortung, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen, eine individuelle Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen und spezifische Personenschutzmaßnahmen vorzuhalten, um jederzeit gesichert und im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes (ArbschG) ihre Tätigkeit auszuführen. 

Wie wird die Gefährdungsbeurteilung bei Alleinarbeit durchgeführt? 

Im Rahmen der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung wird geprüft, ob mit der Alleinarbeit potenziell gefährliche Arbeiten verbunden sind. Grundsätzlich werden im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung technische und organisatorische Maßnahmen festgelegt, die Schutz und Sicherheit bieten können. Beispiele hierfür sind regelmäßige Kontrollgänge durch vorab festgelegte Aufsichtspersonen oder zeitlich abgestimmte Kontrollanrufe. 

Die individuelle Gefährdungsbeurteilung sollte alle Risiken, die mit dem Alleinarbeitsplatz verbunden sind, aufgreifen und geeignete Personenschutzmaßnahmen festlegen, die bei einem Unfall oder Notfall zuverlässig, schnell und effektiv greifen. 

Was umfasst die Risikobeurteilung für die Alleinarbeit?

Die Risikobeurteilung, die Arbeitgeber auf Grundlage der DGUV Regel 112-139 vornehmen müssen, wird nach einem Punktesystem wie folgt vorgenommen: 

  • Wird der Beschäftigte bei einem Notfall noch handlungsfähig, eingeschränkt handlungsfähig oder gegebenenfalls nicht mehr handlungsfähig sein? (GZ)
  • Ist ein Notfall unwahrscheinlich bzw. möglich oder muss sogar mit Notfällen gerechnet werden? (NW)
  • Wie lang ist die Zeit zwischen der Alarmauslösung und dem Beginn der Rettungs- bzw. Erste-Hilfe-Maßnahmen vor Ort? (EV)

Die ersten beiden Fragen werden im Punktesystem zwischen 1 (geringe Wahrscheinlichkeit) und 10 (hohe Wahrscheinlichkeit) bewertet. Bei der dritten Frage wird ein Wert zwischen 0 (schnelle Rettungsmöglichkeit) und 2 (lange Rettung) herangezogen. 

Die Ergebnisse werden in die folgende Formel eingetragen: 

Risikowert (R) = Gefährdungsziffer (GZ) + Einleitung Hilfsmaßnahmen (EV) x Notfallwahrscheinlichkeit (NW)

Bei einem Risikowert > 30 ist Alleinarbeit im ersten Schritt unzulässig. Um die Alleinarbeit trotzdem durchführen zu können, müssen weitere Maßnahmen implementiert werden, um das Risiko zu verringern. Die Risikominimierung kann beispielsweise durch zusätzliche organisatorische Maßnahmen oder durch eine Personen-Notsignal-Anlage (PNA) erreicht werden. 

Welche Gefährdungsstufen bei Alleinarbeit werden unterschieden? 

Folgende Gefährdungsstufen werden im Rahmen der Alleinarbeit unterschieden:

Gefährdungsstufen 
GeringGefährdungsfaktoren, die geringe Verletzungen oder Beeinträchtigungen der Gesundheit bei Alleinarbeit bewirken können. Die Person bleibt handlungsfähig.
ErhöhtGefährdungsfaktoren, die erhebliche Verletzungen oder erhebliche und akute Beeinträchtigungen der Gesundheit bei Alleinarbeit bewirken können. Die Person bleibt eingeschränkt handlungsfähig.
KritischGefährdungsfaktoren, die besonders schwere Verletzungen oder schwere akute Beeinträchtigungen der Gesundheit bei Alleinarbeit bewirken können. Die Person ist im Notfall nicht mehr handlungsfähig.

Welche Schutzmaßnahmen sind bei Alleinarbeit wann erforderlich? 

Grundlage für die Implementierung von spezifischen Schutzmaßnahmen für die Alleinarbeitsplätze ist die Gefährdungsbeurteilung. Bei Alleinarbeit kommt es grundsätzlich auf den Einzelfall, die Umstände und die individuellen Risiken an. 

Beispielsweise sollte eine Personen-Notsignal-Anlage als Personenschutzmaßnahme eingesetzt werden, wenn ein Mitarbeiter in Alleinarbeit in einem Abwasser- oder Lüftungsschacht absteigt. Die PNA kann in diesem Fall durch den Lagersensor bei Bewusstlosigkeit ein Notsignal absetzen und macht die Kommunikation mit dem Beschäftigten in Alleinarbeit selbst unter erschwerten Bedingungen möglich. 

Für einen Bauarbeiter, der in Alleinarbeit räumlich getrennt auf einer Anhöhe arbeitet, reichen im Gegensatz regelmäßige Kontrollgänge oder die Ausrüstung mit einem Funkgeräte aus, um Kontakt zu halten und im Notfall effektiv tätig zu werden. Auf ein permanentes Überwachen von Einzelarbeitsplätzen muss in der Regel verzichtet werden, da dies die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen verletzt. Eine permanente Überwachung durch z.B. eine Videoüberwachung ist aus diesem Grund genehmigungspflichtig. 

Wann liegt eine Alleinarbeit bei “gefährlichen Arbeiten” vor?

Nicht jede Alleinarbeit ist gefährlich. Das Risiko, als Alleinarbeiter in einem Büroumfeld zu verunfallen, ist ungleich geringer als bei Tätigkeiten mit Maschinen, Starkstrom, ätzenden Stoffen oder auf Baustellen. Aus diesem Grund unterscheidet man zwischen Alleinarbeit und gefährlicher Alleinarbeit. 

Die folgenden drei Beispiele zeigen die Risiken von gefährlicher Alleinarbeit: 

Schweißen und Schneiden in engen Räumen und auf Baustellen

Der Mitarbeiter einer Werft erhält den Auftrag, im Rumpf eines neu gebauten Schiffes Schweißarbeiten vorzunehmen. Er arbeitet außerhalb der Sicht- und Rufweite anderer Mitarbeiter. Es handelt sich um eine gefährliche Alleinarbeit, da bei Schweißarbeiten grundsätzlich ein erhöhtes Unfallpotenzial gegeben ist. Neben Verbrennungen und Vergiftungen könnte durch das Schweißen ein Brand oder ein medizinischer Notfall entstehen. 

Arbeiten an Arbeitsplätzen ohne Absturzsicherung

Gefährliche Alleinarbeit sollte die Ausnahme bleiben. Muss der Mitarbeiter eines Mobilfunkunternehmens eine Außenantenne auf einem Dach warten, ohne dass geeignete Schutzmaßnahmen bei einem Absturz zur Verfügung stehen, handelt es sich um eine gefährliche Alleinarbeit. 

Arbeiten mit gesundheitsschädlichen und ätzenden Arbeitsstoffen

In der chemischen Industrie ist die Arbeit mit gesundheitsschädlichen und ätzenden Arbeitsstoffen üblich. Arbeitet ein Mitarbeiter an einem Alleinarbeitsplatz mit potenziell gesundheitsschädlichen Stoffen, beispielsweise mit Viren und Bakterien oder mit Salzsäure, Schwefelsäure oder Natronlauge, handelt es sich um gefährliche Alleinarbeit. 

Welche besonderen Schutzmaßnahmen sind bei gefährlicher Alleinarbeit zu ergreifen?

Bei gefährlicher Alleinarbeit hat der Arbeitgeber wirksame Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die als Personenschutzmaßnahmen die Sicherheit des Mitarbeiters betreffen. Darüber hinaus müssen Risiken am Einsatzort oder Arbeitsplatz durch geeignete bauliche oder technische Maßnahmen minimiert werden. Das stützt die DGUV-Vorschrift 100-001, wenn Sie vorgibt: 

„Wird eine gefährliche Arbeit von einer Person allein ausgeführt, so hat der Unternehmer über die allgemeinen Schutzmaßnahmen hinaus für geeignete technische oder organisatorische Personenschutzmaßnahmen zu sorgen.“ 

Dieser Grundsatz korreliert mit § 25 der Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (BGV/GUV-V A1), nach denen der Unternehmer „unter Berücksichtigung der betrieblichen Verhältnisse durch  Meldeeinrichtungen und organisatorische Maßnahmen dafür sorgen muss, dass bei einem Notfall unverzüglich die notwendige Hilfe herbeigerufen und an den Einsatzort geleitet werden kann.“

Mögliche Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz bei gefährlicher Arbeit könnten sein: 

  • Kontrollgänge am Arbeitsplatz durch eine vorab definierte Aufsichtsführende Person,
  • Implementierung eines individuellen Meldesystems zur Überwachung mit Funkgeräten oder einer Mobilfunkverbindung am Arbeitsplatz, um zeitweise oder dauerhaft Kontakt zur allein arbeitenden Person herstellen zu können,
  • Kontinuierliche Überwachung der Arbeiten am Alleinarbeitsplatz mit einem Kamerasystem,
  • Verabredung eines Notsignals oder Mitführen eines Notfallknopfes, der bei Gefahrensituationen am Alleinarbeitsplatz ausgelöst werden kann,
  • Ein automatisches willensunabhängiges Überwachungssystem, auch Personen-Notsignal-Anlagen (PNG) genannt, das Körperfunktionen oder Positionen überwacht und bei Anomalien automatisch einen Alarm auslöst.

Was sind Aufsichtsführende Personen?

Als “Aufsichtsführende Person” bezeichnet die DGVU zuverlässige, mit der Arbeit vertraute und weisungsbefugte Fachkräfte, die die gefährlichen Arbeiten in Alleinarbeit am Arbeitsplatz aufgrund ihrer fachlichen Kenntnisse planen, beaufsichtigen und überwachen. Grundsätzlich sollte gefährliche Alleinarbeit die Ausnahme bilden, da die Risiken für Unfälle und Notfälle bei Alleinarbeit in einem Gefährdungsumfeld signifikant erhöht sind. Bei Alleinarbeit mit erhöhter oder besonderer Gefährdung muss zwingend eine Betriebsanweisung erstellt werden. 

Wer darf Alleinarbeit ausüben und wer nicht? 

Der Gesetzgeber untersagt jegliche Alleinarbeit von Auszubildenden. Weitere Bestimmungen zur Alleinarbeit müssen aus gesetzlicher Hinsicht nicht beachtet werden. Es gilt, dass Personen, die aufgrund einer Erkrankung oder ihrer Konstitution erkennbar nicht in der Lage sind, eine gefährliche Arbeit ohne Gefahr für sich und andere auszuführen, nicht mit derartigen Arbeiten beauftragt werden dürfen. 

Wann ist Alleinarbeit nicht zulässig?

Bei den folgenden Tätigkeiten ist Alleinarbeit auf Grundlage der Vorgaben der DGUV nicht gestattet: 

  • Arbeiten in Behältern und engen Räumen,
  • Einsteigen und Einfahren in Silos,
  • Arbeiten von Hand in oder vor Abraum- und Abbauwänden,
  • beim Beräumen von Erd- und Felswänden,
  • Arbeiten im Gleisbereich,
  • Sprengarbeiten,
  • Instandsetzungs- oder Bauarbeiten auf der Beschickerbühne,
  • beim Herausbrechen von Ofenansätzen und Ofenmauerwerk von Hand sowie
  • bei Arbeiten mit Atemschutzisoliergeräten.