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Fehlende Gefährdungsbeurteilung
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Fehlende Gefährdungsbeurteilung: Wer übernimmt die Haftung?

  • 07.03.2022
  • Redaktionsteam SafetyXperts
  • 6 Min.

Ein Arbeitsunfall ist sowohl für den Beschäftigten als auch für den Arbeitgeber eine schlimme Angelegenheit. Nimmt der Unfall im schlimmsten Fall ein tödliches Ende oder bleiben dadurch lebenslange gesundheitliche Einschränkungen des Arbeitnehmers zurück, ist auch der Imageschaden für den Betrieb meistens vorprogrammiert. 

Schnell spricht sich herum, dass der Arbeitgeber geltende Vorschriften im Arbeitsschutz auf die leichte Schulter nimmt und es um die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter nicht gut bestellt ist. Darüber hinaus müssen Arbeitgeber in den meisten Fällen mit einer juristischen Aufarbeitung des Arbeitsunfalls beziehungsweise des Unfallhergangs rechnen. Hier geht es unter anderem um Haftungsfragen in Bezug auf eine möglicherweise fehlenden Gefährdungsbeurteilung.

Wer haftet bei einer fehlenden Gefährdungsbeurteilung?

Wenn Betriebe ihrer Unternehmerpflicht zur Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsstätte nicht nachkommen und es infolgedessen zu einem Arbeitsunfall kommt, stehen sie in der Haftung. Die Gefährdungsbeurteilung ist ein Muss für jeden Arbeitgeber. Gesetzlich ist klar geregelt, dass der Unternehmer oder die betrieblichen Vorgesetzten für die Arbeitssicherheit der Mitarbeiter haften. 

Im Arbeitsschutz gilt sie als das wichtigste Instrument. Ziel der Gefährdungsbeurteilung ist die Ermittlung, die Bewertung und die Dokumentation möglicher Gefährdungen, die vom Arbeitsplatz ausgehen können und das Leben sowie die Gesundheit der Beschäftigten gefährden.

Die rechtliche Grundlage der Gefährdungsbeurteilung ist § 5 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG). Es schreibt vor, dass Unternehmen zur Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes verpflichtet sind. 

Anhand der Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung müssen Unternehmen Arbeitsschutzmaßnahmen entwickeln und anwenden, welche die Gefährdungen auf ein Minimum reduzieren oder im besten Fall komplett eliminieren. Gefährdungsbeurteilungen werden auch für die Arbeitsplätze durchgeführt, von denen psychische Gefährdungen für die Mitarbeiter ausgehen können. 

Müssen Betriebe mit Bußgeldern bei Verletzung der Unternehmerpflichten rechnen?

Eine fehlende Gefährdungsbeurteilung bedeutet, dass die Beschäftigten einem potenziell höheren Risiko für Arbeitsunfälle ausgesetzt sind. Wenn Arbeitgeber die Pflicht bewusst verletzen und die Gefährdungsbeurteilung nicht vornehmen, kann gegen sie ein Bußgeld von bis zu 5.000 Euro verhängt werden (§ 25 Abs. 2 ArbSchG).

Welche Rolle nehmen die Fachkräfte für Arbeitssicherheit bei der Gefährdungsbeurteilung ein? 

Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung nehmen die Arbeitgeber allerdings nicht allein vor. Gemäß des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG) sind sie dazu verpflichtet, sich bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung von der Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sifa) beraten zu lassen.

Arbeitgeber müssen die Sifas schriftlich bestellen (§ 5 ASiG) und ihnen gemäß § 6 ASiG die genannten Aufgaben übertragen. Die Sifas wiederum unterstützen den Arbeitgeber bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und stehen im beratend in allen Fragen rund um den Arbeits- und Gesundheitsschutz zur Seite. Zudem berät die Sicherheitsfachkraft die Unternehmen bezüglich des Brandschutzes sowie zum betrieblichen Gesundheitsmanagement.

Gemeinsam mit dem Arbeitgeber sowie in Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsbeauftragten und dem Betriebsarzt entwerfen Sifas einen Maßnahmenkatalog, der tabellarisch alle Arbeitsschutzmaßnahmen listet. Diese Maßnahmen sind das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung. 

Was ist der Unterschied zwischen internen und externen Sifas?

Der Arbeitgeber kann für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung sowohl externe als auch interne Fachkräfte für Arbeitssicherheit zur Beratung bestellen.

Demnach kann auch ein Beschäftigter des Betriebs als Sifa agieren (interne Sifa) und den Arbeitgeber bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung unterstützen. Neben der beruflichen Qualifikation muss die interne Sifa den Nachweis der sicherheitstechnischen Fachkunde erbringen. Diesen Nachweis erlangen sie in einem Ausbildungslehrgang nach § 4 Abs. 2 DGUV Vorschrift 2. 

Laut Angaben der DGUV wird dieser Lehrgang von allen Unfallversicherungsträgern angeboten. Darüber hinaus gibt es anerkannte Lehrgänge von freien Ausbildungsträgern und entsprechend anerkannt sind. Zudem bieten auch Hochschulen die Ausbildungslehrgänge an.

Darüber hinaus muss der Betriebsrat der Bestellung von angestellten Fachkräften für Arbeitssicherheit zustimmen. Interne Sifas sind beispielsweise als Meister oder Techniker im Unternehmen tätig. 

Externe Sifas tragen in der Regel ebenfalls den Meistertitel oder sind Ingenieure für Sicherheitstechnik. Daneben können sie auch über eine andere berufliche Qualifikation verfügen, die sie als Berater für den Arbeitgeber bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung befähigt.

Inwiefern sind Sifas im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung haftbar?

Wenn externe Sifas vom Unternehmen zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung bestellt werden und es nach dem Abschluss der Ermittlung und Bewertung zu einem Arbeitsunfall des Beschäftigten am Arbeitsplatz kommt, können auch die Sifas haftbar gemacht werden. 

Insgesamt können bei Sifas folgende Haftungsszenarien auftreten: 

  • Gegen sie können seitens der Staatsanwaltschaft strafrechtliche Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung oder gar Tötung eingeleitet werden. 
  • Sie können von den Beschäftigten, die trotz Gefährdungsbeurteilung einen Arbeitsunfall erleiden, auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld verklagt werden. Bei diesem Haftungsszenario haben vor allem externe Sifas ein hohes Risiko, da für sie nicht das Haftungsprivileg (§ 104 ff. SGB VII) vorgesehen ist, wie es bei Arbeitnehmern der Fall ist.

Welche Voraussetzungen müssen für die Haftungsszenarien gegeben sein?

Bevor die genannten Haftungsszenarien greifen, müssen verschiedene Voraussetzungen gegeben sein. Wenn die Sifa in der Verantwortung steht, vom Arbeitgeber bestellt wurde, beratend der Gefährdungsbeurteilung beizustehen und dabei ihre Pflicht verletzt, kann sie für einen eventuell später auftretenden Arbeitsunfall haftbar gemacht werden. 

Darüber hinaus kann die (externe) Sifa haftbar gemacht werden, wenn sie fahrlässig – in diesem Fall reicht die einfache Fahrlässigkeit aus – handelt. Interne Sifa dagegen haften nur bei grober Fahrlässigkeit.

Gibt es Haftungsgrundsätze für Fachkräfte für Arbeitssicherheit?

Es existieren zwei Haftungsgrundsätze, an die sich alle Sifas halten müssen. 

  • Gemäß ASiG bestehen ihre Pflichten ausschließlich gegenüber Beschäftigten. Für „Drittpersonen“ (juristischer Begriff) – Personen, die nicht zum Unternehmen gehören – sind sie nicht verantwortlich. Wenn die Drittpersonen verletzt werden, übernehmen sie nur dann die Haftung, wenn sie außer dem ASiG noch weitere Pflichten übernommen haben.
  • Sifas können nur dann haftbar gemacht werden, wenn sie fahrlässig gehandelt haben und dies genau den Arbeitsunfall beziehungsweise den Schaden verursacht hat. Die juristische Feststellbarkeit ist hier allerdings schwierig.

Gibt es Urteile, die zugunsten oder gegen die Fachkraft für Arbeitssicherheit? 

Zu einem Urteil zugunsten einer angeklagten Fachkraft für Arbeitssicherheit kam das OLG Braunschweig mit einem Beschluss vom 24.08.2020 (Az. 9 U 27/20).

In dem Fall brach das Rad einer Rolltrage bei einem Krankentransport. Der Patient verklagte den Rettungsdienst auf Schadensersatz und argumentierte unter anderem, dass der Unfall aufgrund der fehlenden Sifa des Rettungsdienstes zustande kam. 

Das Gericht wies die Klage des Geschädigten ab und verwies darauf, dass die Fachkraft für Arbeitssicherheit nur den Beschäftigten des Unternehmens – in diesem Fall dem Rettungsdienst – verpflichtet ist. Nicht-Beschäftigte, wie der geschädigte Patient, zählen nicht dazu.

Eine weitere Begründung des Gerichts: Der Patient habe weder Fehler bei der Handhabung der Trage durch die Sanitäter noch Wartungsfehler habe beweisen können. Die Trage habe die regelmäßigen technischen Prüfungen bestanden und sei am Unfalltag von den Rettungssanitätern bei Dienstbeginn auf Sicht überprüft worden. Dies reiche aus, so das Gericht. 

Ein vollständiger und tiefgreifender Funktionstest vor jedem Einsatz könne nicht verlangt werden. Das würde den Rettungsanforderungen nicht gerecht, führe realistisch nicht zu mehr Sicherheit und übersteige überdies, beispielsweise im Fall von nicht erkennbaren Materialfehlern, die Möglichkeiten eines Rettungsdienstes. Dieser Begründung hat sich der Bundesgerichtshof als nicht zu beanstanden angeschlossen.

Schadensersatz für mangelnde Beratung

Bereits im Jahr 2014 hat das OLG Nürnberg hat die Sifa im Jahr 2014 in einem Verfahren zum Schadensersatz aufgrund eines Arbeitsunfalls verurteilt (Az. 4 U 1706/12). In einem Betrieb kam es wegen einer mangelhaften Stanze zu einem Arbeitsunfall. Als Unfallursache stellte sich heraus, dass es das Unternehmen seiner Pflicht nicht nachkam, die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung durchzuführen.

Das Gericht stellte im Verlauf des Verfahrens fest, dass die Sifa den Betrieb falsch beraten hat und dass es dadurch zu dem Arbeitsunfall des Beschäftigten kam. Daraus folgt, dass die Sifa nicht für Arbeitsschutzmängel, allerdings für die Qualität der Beratung haftet.

In dem vorliegenden Fall behauptete die Sifa, dass die CE-Kennzeichnung der Maschine ausreichend ist und sowohl eine Gefährdungsbeurteilung als auch eine betriebliche Prüfung nicht erforderlich sei. Dies widerspricht jedoch den Vorschriften in der Betriebssicherheitsverordnung. Demnach entbindet das Vorhandensein einer CE-Kennzeichnung am Arbeitsmittel nicht von der Pflicht zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung.