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Gefährdungsbeurteilung erstellen
Foto: © fewerton - Shutterstock

Gefährdungsbeurteilung erstellen – eine Schritt-für-Schritt-Anleitung

  • 23.05.2023
  • Christoph Ledder
  • 8 Min.

Die vorläufigen Zahlen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) für das erste Halbjahr 2022 zeigen: Die meldepflichtigen Arbeitsunfälle sind im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 0,2 Prozentpunkte angestiegen. Insgesamt ereigneten sich in dieser Zeit 400.000 meldepflichtige Arbeitsunfälle in Unternehmen. Angesichts der Zahlen müssen Arbeitgeber beziehungsweise Unternehmen besonderes Augenmerk auf die Erstellung der Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz legen. Vor dem Hintergrund der Arbeitssicherheit ist die Erstellung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung essenziell. Dadurch werden rechtzeitig mögliche Gefährdungen für die Mitarbeiter erkannt, und können vermieden oder auf ein Minimum reduziert werden.

Was ist eine Gefährdungsbeurteilung?

Die Gefährdungsbeurteilung ist ein wichtiges Instrument des Arbeitsschutzes und umfasst die Beurteilung und Dokumentation aller physischen und psychischen Belastungen, die sich für die Mitarbeiter an deren Arbeitsplatz ergeben. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Beurteilung müssen Unternehmen bzw. der Arbeitgeber entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen entwickelt und umgesetzt werden, um die Gefährdungen zu vermeiden und die Arbeitssicherheit zu erhöhen.

Wie wird eine Gefährdungsbeurteilung erstellt?

Der Gesetzgeber definiert mit dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) den Rahmen für Betriebe, wenn diese die Gefährdungsbeurteilung erstellen und durchführen. Dabei müssen sie beachten, dass sie die Beurteilung je nach Art der Tätigkeit vornehmen (§ 5 Abs.2 ArbSchG). Gefährdungen am Arbeitsplatz sowie Risiken der Tätigkeit können sich unter anderem aus der Gestaltung und der Einrichtung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes sowie aus physikalischen, chemischen und biologischen Einwirkungen und anderen Arbeitsmitteln ergeben. Außerdem führen fehlende Unterweisungen und unzureichende Qualifikationen zu Gefährdungen am Arbeitsplatz (§ 5 Abs.3 ArbSchG).

Obwohl das Arbeitsschutzgesetz den rechtlichen Rahmen für die Gefährdungsbeurteilung stellt, finden Betriebe im ArbSchG keine Anleitung zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung. Den Inhalt sowie den Umfang müssen die Betriebe demnach in eigenem Interesse festlegen. Nachfolgend stellt die Schritt-für-Schritt-Anleitung eine Hilfestellung für Unternehmen zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung dar. Folgende Schritte gehören zur Gefährdungsbeurteilung dazu:

  1. Vorbereitung der Gefährdungsbeurteilung
  2. Ermittlung der Gefährdungen bei der jeweiligen Tätigkeit und die Risiken des jeweiligen Arbeitsplatzes
  3. Beurteilung der identifizierten Gefährdungen der Tätigkeit und des Arbeitsplatzes bzw. Arbeitsbereiches
  4. Festlegung der nötigen Schutzmaßnahmen für die Tätigkeiten 
  5. Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen
  6. Überprüfung der Wirksamkeit der eingeleiteten Maßnahmen 
  7. Dokumentation der Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung

Die Schritte werden nun nachfolgend erklärt.

Wie wird die Gefährdungsbeurteilung vorbereitet?

Steht die Beurteilung aller möglichen Gefährdungen am Arbeitsplatz der Mitarbeiter ins Haus, müssen Betriebe diese entsprechend vorbereiten. Zur Vorbereitung gehört, dass die einzelnen Arbeitsbereiche festgelegt werden, die bei der Gefährdungsbeurteilung eine Rolle spielen.

Diese Bereiche sind zum Beispiel das Lager und die Werkstatt. Aber auch das Büro sollte bei der Beurteilung berücksichtigt werden, da hier Gefährdungen und Risiken durch die falsche Körperhaltung am Arbeitsplatz sowie durch Lärm auftreten können.

Wichtiger Hinweis: Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) empfiehlt eine berufsbezogene Beurteilung für nicht ortsfeste Tätigkeiten oder für Arbeiten, bei denen die Arbeitsabläufe häufig wechseln. Das gilt unter anderem für Berufskraftfahrer oder für Installateure, die in wechselnden Arbeitsumgebungen tätig sind.

Im Rahmen der Vorbereitungen sollten sich Betriebe beziehungsweise Arbeitgeber Informationen beschaffen. Dazu gehören zum Beispiel:

  • die Technischen Regeln,
  • Gefährdungs- und Belastungskataloge von Unfallversicherungsträgern,
  • Dokumentationen vorangegangener Gefährdungsbeurteilungen,
  • Betriebsanweisungen und
  • Herstellerangaben zu Maschinen und weiteren Arbeitsgeräten.

Wie werden Gefährdungen bei der Gefährdungsbeurteilung ermittelt?

Im zweiten Schritt der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung müssen die möglichen Gefährdungen am Arbeitsplatz bzw. im Arbeitsbereich ermittelt werden. Hinweise, woraus sich die Gefährdungen für die Mitarbeiter ergeben können, liefert § 5 Abs.3 ArbSchG. Dazu zählen unter anderem die Gestaltung, die Auswahl sowie der Einsatz von Arbeitsmitteln und Arbeitsstoffen und der jeweilige Umgang damit. Zu den Arbeitsstoffen wiederum zählen zum Beispiel Gefahrstoffe. Die chemischen Eigenschaften mancher Gefahrstoffe stellen ernsthafte Gefährdungen am Arbeitsplatz dar.

Auch bei der Ermittlung der Gefährdungen müssen Betriebe berücksichtigen, dass dies tätigkeitsbezogen erfolgt. Die entsprechende Vorschrift dazu liefert die Betriebssicherheitsverordnung, insbesondere § 3 Abs. 2 BetrSichV. Demnach müssen die sicherheitsrelevanten Zusammenhänge zwischen dem Arbeitsplatz, dem Arbeitsmittel, dem Arbeitsverfahren und der Arbeitsorganisation erkannt werden.

Darüber hinaus bestehen Zusammenhänge zwischen dem Arbeitsablauf, der Arbeitszeit, der jeweiligen Arbeitsaufgabe sowie zwischen den physischen und psychischen Belastungen der Mitarbeiter. Außerdem müssen die ergonomischen Zusammenhänge der genannten Faktoren bei der Gefährdungsermittlung von den Betrieben berücksichtigt werden.

Für wen müssen die Gefährdungen ermittelt werden?

Gefährdungen müssen dabei nicht nur für die Betriebsangehörigen ermittelt werden. Weitere Personengruppen wie zum Beispiel für Mitarbeiter, die nur temporär im Betrieb arbeiten. Für die sogenannten “Leiharbeiter” muss die Gefährdungsermittlung ebenfalls erfolgen – in enger Absprache mit den für diese Gruppen verantwortlichen Arbeitgebern. Die rechtliche Grundlage dafür liefert § 8 ArbSchG. Darüber hinaus müssen Betriebe die Vorschriften beziehungsweise Anforderungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) bei der Beschäftigung von Leiharbeitern befolgen.

Die Gefährdungsermittlung gilt darüber hinaus für besonders schutzbedürftige Personen, zu denen jugendliche Beschäftigte sowie Schwangere und stillende Mütter gehören. Zudem zählen Menschen mit Behinderungen zu den besonders schutzbedürftigen Personen.

Was sind mögliche Gefährdungsfaktoren im Betrieb?

Zu den Gefährdungsfaktoren bzw. Risiken der Arbeitsbereiche zählen unter anderem:

• Mechanische Gefährdungen: stolpern, rutschen, unkontrolliert bewegte Maschinenteile

• Elektrische Gefährdungen: Lärm, Ganzkörper-Vibrationen, Hand-Arm-Vibrationen 

• Thermische Gefährdungen:  kalte und heiße Oberflächen, Gefährdungen durch siedendes Wasser

• Gefährdungen durch Physische Belastung: Heben und Tragen schwerer Lasten, Bewegungsabläufe, die sich wiederholen

• Psychische Faktoren: die Belastung kommt bei allen Tätigkeiten vor, häufige Ursache ist Stress bei Arbeitsabläufen, die Akustik im Büro führt oft zu psychischen Belastungen für die Mitarbeiter

Wie erfolgt die Beurteilung der ermittelten Gefährdungen?

Die ermittelten Gefährdungen sollten hinsichtlich von zwei Fragen beurteilt werden:

  • Sind die bereits Schutzmaßnahmen zur Eindämmung beziehungsweise Reduzierung der Gefährdungen vorhanden? Wenn ja, sollten diese Schutzmaßnahmen nochmals auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden.
  • Welche weiteren Arbeitsschutzmaßnahmen sind eventuell erforderlich, um die Mitarbeiter vor Gefährdungen zu schützen?

Wenn nach längerer Zeit eine Beurteilung der Gefährdungen vorgenommen wird und dementsprechend Schutzmaßnahmen entwickelt werden, müssen die jeweiligen Schutzziele berücksichtigt werden. Solche Schutzziele sind unter anderem die Beseitigung oder Minimierung von Lärm beziehungsweise die Verbesserung der Raumakustik im Büro. Ein anderes Schutzziel ist die Bewertung des Arbeitsplatzklimas. Auch dieses kann zur psychischen Gefährdung für Mitarbeiter werden.

Im Rahmen der Beurteilung sollten Betriebe die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens und das jeweilige Ausmaß bewerten – von leichten Verletzungen und Erkrankungen bis zu Unfällen, bei denen ein tödlicher Ausgang zu erwarten ist. Dafür können Zahlen von 1 bis 7 verwendet werden, wobei 1 die sehr geringe Wahrscheinlichkeit und 7 den möglichen Tod darstellt.

Wichtiger Hinweis: Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin verweist auf ihrer Website auf das Verfahren nach NOHL, das sich für die Beurteilung der Gefährdungen als nützlich erwiesen hat.

Wie werden die Schutzmaßnahmen festgelegt?

Um die Schutzmaßnahmen festzulegen, müssen diese zunächst priorisiert werden. In fünf Schritten sollten Betriebe eine sogenannte Maßnahmenhierarchie erstellen:

  • Gefährdungen müssen direkt an der Quelle beseitigt oder reduziert werden.
  • Mitarbeiter-Gefährdungen durch technische Maßnahmen beseitigen oder reduzieren
  • Einsatz von organisatorischen Maßnahmen zur Reduzierung und Beseitigung von Gefährdungen
  • Ausgabe von PSA an die Mitarbeiter (Persönliche Schutzausrüstung)
  • Mitarbeiter entsprechend qualifizieren, um so Gefährdungen zu vermeiden

Wie erfolgt die Umsetzung der Maßnahmen der Gefährdungsbeurteilung?

Vor dem Hintergrund der Hierarchie müssen die einzelnen Maßnahmen der Gefährdungsbeurteilung nun umgesetzt werden. Die Betriebe, die bei der Umsetzung in der Verantwortung stehen, sollten einen Zeitrahmen festlegen, in dem die Umsetzung erfolgt. Darüber hinaus sollten Betriebsangehörige benannt werden, die die Umsetzung begleiten. Das kann zum Beispiel der Sicherheitsbeauftragte im Unternehmen sein oder die Fachkraft für Arbeitssicherheit.

Wie wird die Wirksamkeit der Maßnahmen überprüft?

Die Überprüfung hat das Ziel zu kontrollieren, ob die Schutzmaßnahmen vollständig umgesetzt wurden, und ob sie dazu geführt haben, die ermittelten Gefährdungen zu vermeiden. Zudem sollte bei der Überprüfung der Wirksamkeit im Fokus stehen, ob neue Gefährdungen hinzugekommen sind – beispielsweise durch den Einsatz neuer Maschinen. Durch Beobachtung, Messung oder Mitarbeiterbefragungen kann die Wirksamkeit der Maßnahmen überprüft werden.

Wichtig: Manche Maßnahmen wirken nicht sofort, sondern erst mittel- oder langfristig. Das muss bei der Überprüfung der Wirksamkeit bedacht werden.

Wie müssen die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung dokumentiert werden?

Aus der Dokumentation muss hervorgehen, dass die Gefährdungsbeurteilung in erforderlichem Umfang durchgeführt wurde. Aus den Unterlagen muss einerseits das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung hervorgehen. Andererseits muss die Art der Schutzmaßnahmen und die Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen in der Dokumentation niedergeschrieben sein. Bei Betrieben mit bis zu zehn Mitarbeitern reicht eine vereinfachte Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung. Betriebe, in denen mehr als zehn Beschäftigte tätig sind, müssen die Dokumentation ausführlicher gestalten. Hilfestellungen geben die Träger der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung wie die Berufsgenossenschaften.
 

Was ist das Ziel von Gefährdungsbeurteilungen?

Das Ziel von Gefährdungsbeurteilungen ist es, Risiken für die Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter rechtzeitig zu erkennen und mit Schutzmaßnahmen einzugreifen, die anhand der Ergebnisse der Beurteilung entwickelt und umgesetzt werden. Der Präventionsgedanke steht bei Gefährdungsbeurteilungen im Mittelpunkt. Sicherheits- und Gesundheitsrisiken sollen durch die Beurteilung gar nicht erst entstehen. 

Wann müssen Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt werden?

Für viele Betriebe stellt sich außerdem die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Gefährdungsbeurteilungen erstellt und durchgeführt werden sollte. Eine Erstbeurteilung sollte vor der Aufnahme der Tätigkeiten erfolgen. Darüber hinaus sollten Betriebe die Beurteilung der Gefährdungen dann durchführen, wenn sich Veränderungen in der Arbeitsumgebung der Mitarbeiter ergeben – dann, wenn beispielsweise neue Maschinen oder Arbeitsstoffe zum Einsatz kommen.

 Wer erstellt die Gefährdungsbeurteilung?

Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet Betriebe zur Erstellung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung. Allerdings können sie gemäß § 13 Abs.2 ArbSchG fachkundige Personen schriftlich mit der Durchführung der Beurteilung beauftragen. Die Unternehmen tragen die Verantwortung zu überwachen beziehungsweise zu kontrollieren, dass die Gefährdungsbeurteilungen auch tatsächlich von externen, nicht betriebszugehörigen Personen durchgeführt und erstellt werden. 

Welche Form muss die Gefährdungsbeurteilung aufweisen?
Die Gefährdungsbeurteilung muss stets dokumentiert werden. Sie kann entweder ausgedruckt oder als Datei auf einer gesicherten Festplatte gespeichert werden. Die Dokumentation selbst erfolgt mit der Anwendung von Formularen oder einer speziellen Software, die von den jeweils zuständigen Berufsgenossenschaften zur Verfügung gestellt werden.

Erfolgt eine Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung?

Die Berufsgenossenschaften als Träger der DGUV nehmen in regelmäßigen Abständen Betriebsprüfungen vor, in denen die Erstellung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung kontrolliert wird. Gemäß den Vorschriften des Sozialgesetzbuches sind sie zur Prüfung ihrer Mitgliedsunternehmen verpflichtet. 

Was wird bei der Gefährdungsbeurteilung geprüft?

Bei der Betriebsprüfung wird kontrolliert, ob die Bestimmungen zum Arbeitsschutz auch tatsächlich umgesetzt werden. Darüber hinaus überprüfen die Berufsgenossenschaften die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen, die anhand der Gefährdungsbeurteilung entwickelt und realisiert wurden. Im Rahmen der Betriebsprüfung werden sämtliche Arbeitsbereiche untersucht, in denen Risiken und Gefährdungen für die Mitarbeiter auftreten können.